Schattenkampf
nachgewiesen haben, dass Mister Scholler an PTBS leidet und dies wiederum seine Behauptung stützt, dass er sich an nichts von dem erinnern kann, was im fraglichen Zeitraum passiert ist.«
Tollson wandte sich der Anklägerin zu. »Miss Miille? Ein Kommentar?«
»Nachdem sie alle Beweise gehört hat, Euer Ehren, glaubt die Anklage nach wie vor, dass das Thema PTBS für diesen Fall unerheblich ist und ihn in eine falsche Richtung lenkt. Der Angeklagte vertritt den Standpunkt, dass er den Mord nicht begangen hat. Er schützt also keinen Streit mit dem Opfer vor oder dass seine Gefühle mit ihm durchgegangen sind oder dass er in Notwehr gehandelt hat. Wenn wir das PTBS-Beweismaterial zulassen, würde dies einzig und allein dem Zweck dienen, in den Geschworenen Mitleid mit dem Angeklagten zu wecken.«
Tollson saß ein paar weitere Sekunden reglos da, dann beugte er sich vor und legte die Arme mit ineinander verschränkten Fingern auf den Schreibtisch. »Mister Washburn, grundsätzlich bin ich einer Meinung mit Miss Whelan-Miille. Ich habe lang und intensiv über diese Frage nachgedacht und dabei Voreingenommenheit gegen Beweiswert abgewogen. Und deshalb entscheide ich, dass diese PTBS-Thematik nicht zugelassen wird.«
Heftig schockiert von dieser Entscheidung, hob Washburn die Hände an die Seiten seines Gesichts, dann stützte er sie auf die Seite seines Stuhls und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. »Euer Ehren«, sagte er, »mit allem Respekt, diese Beweise müssen zugelassen werden.«
»Vielleicht für Ihre Zwecke, Counsellor, aber nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten. Sie sind unzulässig, weil sie keine Bedeutung für die Beweise in Zusammenhang mit Mister Nolans Ermordung haben. Darüber hinaus besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir viel Zeit verschwenden und die Geschworenen verwirren werden. Wenn ich Ihre Gutachten zu psychologischen Fragen zulasse, werden die Geschworenen notgedrungen vieles zu hören bekommen, was nur Hörensagen ist und deshalb nicht zulässig wäre, nicht Gegenstand des Kreuzverhörs wäre und wahrscheinlich die Anklage benachteiligen würde, weil es Sympathien für die Verteidigung und Abneigung gegen das Opfer weckte. Wenn Sie das alles gegen das rein spekulative Argument abwägen, dass der Angeklagte eine Phase von PTBS durchlaufen haben könnte , als er das Opfer tötete, was er im Übrigen rundweg abstreitet, wäre das Ganze lediglich dazu angetan, diesen Prozess zu einer Zirkusveranstaltung zu degradieren. Solange Sie mir nicht sagen, dass Ihr Mandant
oder sonst jemand sich in letzter Minute doch noch auf Notwehr berufen möchte, werde ich dieses Beweismaterial nicht zulassen.«
»Euer Ehren.« Washburn nahm das eine Bein vom anderen und rutschte auf seinem Stuhl nach vorn. Dem alten Anwalt, der normalerweise nicht aus der Ruhe zu bringen war, war während des richterlichen Monologs der Schweiß ausgebrochen. Er zog ein Taschentuch aus seinem Sakko und wischte sich damit den Hals. Mit einem Blick auf die Protokollführerin stieß er, ein Inbild tiefster Frustration, einen schweren Seufzer aus. »Das ist natürlich ein schwerer Schlag für die Verteidigung, Euer Ehren, und ich hoffe, das Gericht wird im Fall einer nochmaligen Überprüfung des Sachverhalts Verständnis zeigen.«
»Selbstverständlich, Counsellor.« Tollson zeigte sich von seiner schroffsten Seite. »Dieses Gericht ist geradezu legendär für sein Verständnis in solchen Dingen.«
22
»Meine Damen und Herren Geschworenen.« Es war ein Mittwoch, zwei Tage nach der PTBS-Entscheidung, und Mills trug ein dezentes blaues Kostüm mit einer weißen Bluse und flachen schwarzen Pumps, keinen Schmuck. Die Geschworenen wussten, sie bezog ein Staatsbedienstetengehalt, und erwarteten von ihr, dass sie sich »wie eine Anwältin und Dame« kleidete. Ihre Aufmachung sollte seriös sein. Jede Spur von Extravaganz konnte als Respektlosigkeit oder sogar Arroganz ausgelegt werden. Wenn sie vor dieser Jury
aus sieben Männern und fünf Frauen das Volk des Staates Kalifornien vertrat, sollte nichts unangebrachte Aufmerksamkeit auf ihre Person lenken. Weder aggressiv noch feindselig, war sie die redliche, nur der Wahrheit verpflichtete Stimme der Vernunft, die den Fall aus Sicht der Anklage darlegte.
Von der Mitte des Gerichtssaals aus ging Mills das kurze Stück zum Platz des Sprechers der Geschworenen, dann an der Geschworenenbank entlang und schließlich, nach einem kurzen Zwischenhalt an ihrem Tisch, um in
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