Schattenkampf
Warum? Er sagt doch ständig, wir werden gewinnen.«
»Anscheinend ist das aber ohne die PTBS nicht so sicher.«
»Und warum sollte sie dann der Richter nicht zulassen?«
»Keine Ahnung. Aaron hat nie in Erwägung gezogen, das könnte ein Thema werden, bis Tollson heute Morgen diese Verhandlung angeordnet hat. Jedenfalls findet sie jetzt statt, und wenn wir sie verlieren …« Er hob die Schultern.
»Wessen müsstest du dich dann schuldig bekennen?«
»Mord zweiten Grades. Aaron glaubt, er kann sie überreden, die Schusswaffengeschichte fallenzulassen.«
»Und wie lange müsstest du dafür ins Gefängnis?«
Er zögerte kurz. »Zwischen zwölf und lebenslänglich.«
Taras Kopf sackte nach vorn, als wäre sie geschlagen worden. Nach einer Weile blickte sie mit feucht schimmernden Augen wieder auf. »Wenn du dich schuldig bekennst, gibst du damit zu, dass du es getan hast?«
»Ja.«
»Das kannst du doch nicht tun.«
»Nein, das kann ich mir eigentlich auch nicht vorstellen.«
»Kannst du dich denn wirklich an nichts von dem erinnern, was in diesen vier Tagen passiert ist?«
»Tara, das hatten wir doch schon tausendmal.«
»Na ja, vielleicht beim tausendundeinten Mal …«
Er schüttelte den Kopf. »Das kannst du dir abschminken. Ich erinnere mich noch, wie ich zu Ron fuhr, nachdem wir uns getrennt hatten. Ich weiß noch, dass ich auf ihn eingeschlagen habe und er zurückgeschlagen hat und wie wir dann richtig aufeinander los sind. Dann nichts mehr, bis ich im Gefängnis zu mir gekommen bin. Tut mir leid. Es tut mir wirklich leid, aber da ist einfach absolut nichts. Es ist, als hätte ich mich in diese bescheuerten Flaschen verkrochen.«
Tara biss sich auf die Unterlippe. »Du darfst nicht zugeben, dass du es warst, Evan. Wir dürfen erst gar nicht anfangen, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, wir könnten diesen Prozess verlieren.«
»Der Meinung war ich bisher auch. Aber wenn es doch passiert - wenn wir verlieren -, dann komme ich wesentlich länger als zwanzig Jahre ins Gefängnis.«
»Ich würde so lange warten, Evan. Glaub mir.«
»Darum könnte ich dich unmöglich bitten.«
Sie rieb mit der Hand über ihre Stirn. »O mein Gott.«
»Ich glaube nicht, dass er uns zuhört«, sagte Evan.
Im Lauf der nächsten zweieinhalb extrem ermüdenden Tage voller technischer Gutachten rief Aaron Washburn zwei Psychologen in den Zeugenstand, die in den vergangenen Monaten unzählige Tests mit Evan durchgeführt hatten. Persönlichkeitstests, neuropsychologische Tests, Intelligenztests, Wahrnehmungstests, Konzentrationstests, Gedächtnistests. Beide waren mit Dr. Overton einer Meinung, dass Evan eindeutig an Symptomen litt, wie sie für PTBS typisch sind. Er rief mehrere Angehörige der Polizei von Redwood City an, die mit Evan zusammengearbeitet hatten und sich an konkrete Vorfälle erinnerten, bei denen er in ihrer Gegenwart PTBS-Symptome gezeigt hatte - vor allem unangebrachtes Gelächter und Sprach-Aphasien, übermäßig lange Pausen im Gesprächsfluss. Lieutenant Lochland berichtete von Evans unkontrollierbarer Wut und von den Beschwerden, die in Zusammenhang mit Evans Tätigkeit für das DARE-Programm bei ihm eingegangen waren.
Inzwischen war es Freitag, und die PTBS-Vorverhandlung und die Mittagspause waren vorüber. Judge Tollson hatte beide Anwälte in sein Zimmer gerufen. Im Gegensatz zu seiner sonstigen Leutseligkeit außerhalb des Gerichtssaals - möglicherweise zermürbt vom Ernst der behandelten Fragen, vielleicht gedrückt angesichts der Tragweite der Entscheidung, die er zu treffen hatte -, saß der Richter sehr aufrecht und sehr weit hinten in seinem Schreibtischsessel. Die Arme über der Brust verschränkt, wartete er still und mit ausdruckslosem Gesicht, bis Washburn und Mills Platz genommen
hatten und die Protokollführerin mit ihrer Maschine bereit war.
Schließlich schaute er zu ihr, bekam ein Nicken von ihr und räusperte sich. »Mister Washburn«, begann er, »nur der Ordnung halber, haben Sie alle Zeugen in Zusammenhang mit der PTBS-Thematik aufgerufen, die Sie den Geschworenen vorstellen möchten?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Miss Miille, hat die Anklage irgendwelche Beweise, die sie zu diesem Thema vorlegen möchte?«
»Nein, Euer Ehren.«
»Gut. Und möchten Sie irgendwelche Kommentare abgeben, bevor ich meine Entscheidung bezüglich des Antrags der Anklage bekanntgebe?«
»Nur, was ich zu Beginn gesagt habe, Euer Ehren. Dass meine Zeugen über jeden Zweifel hinaus
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