Schattenkampf
ihrem Ordner eine Seite weiterzublättern und ihre Unterlagen zurate zu ziehen, wieder zurück zum Ausgangspunkt ihrer Wanderung. Das diente ihr sozusagen als Timinghilfe, um sich zu bremsen; außerdem hielt sie es für wichtig, mit jedem einzelnen Geschworenen in Blickkontakt zu treten. Die Botschaft war klar - sie begab sich auf ihre Ebene, von Mensch zu Mensch, schaute ihnen unverstellt in die Augen und sagte ihnen nichts als die Wahrheit.
»Guten Morgen. Wie Sie dank der Fragen wissen, die Sie als Mitglieder dieser Jury im Zuge des Auswahlverfahrens beantwortet haben, werden wir den größten Teil der nächsten zwei Wochen damit verbringen, die Beweise zur Kenntnis zu nehmen, aus denen hervorgeht, dass der Angeklagte« - an dieser Stelle drehte sie sich um und deutete auf Evan - »einen Mann namens Ron Nolan ermordet hat. Daran besteht kein Zweifel. Er glaubte, Ron Nolan hätte ihm die Freundin weggenommen. Er hasste ihn wegen seines beruflichen Erfolgs im Irak, wo der Angeklagte bei einem Militäreinsatz verwundet worden war. Er gab Ron Nolan die Schuld an den Verletzungen, die er erlitten hatte, Verletzungen, zu denen es in Wirklichkeit gekommen war, weil der Angeklagte nach einer
durchzechten Nacht seine Männer in einen Hinterhalt geführt hatte. Evan Scholler hasste Ron Nolan.
Und daraus hat er auch keinen Hehl gemacht. Er erzählte es seinen Eltern, er erzählte es seiner Freundin. Auch einigen Kollegen bei der Polizei gegenüber machte er entsprechende Andeutungen. Er stellte Ron Nolan nach, indem er sich verbotenerweise polizeilicher Ermittlungsinstrumente bediente, um seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Er brach in Ron Nolans Haus ein und versuchte ihm die Ermordung zweier in den Vereinigten Staaten ermordeter irakischer Staatsbürger anzuhängen.
Zu guter Letzt werden die Beweise zeigen, dass der Angeklagte diesen Mord sorgfältig und vorsätzlich plante. Mehrere Tage vor seinem Angriff auf Mister Nolan, setzte sich der Angeklagte, im Dienst und in der Uniform der Polizei von Redwood City, mit einem Schlosser in Verbindung und verschaffte sich mit dessen Hilfe unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Zutritt zu Mister Nolans Haus. Der Schlosser schloss dem Angeklagten die Haustür auf. Bei einer späteren Durchsuchung fand das FBI in diesem Haus Beweismaterial, das in Zusammenhang mit der Ermordung von Ibrahim und Shatha Khalil stand und dort platziert worden war. Das Vorhaben des Angeklagten wurde jedoch vereitelt, weil Ron Nolan die ihm untergeschobenen Beweise entdeckte und das FBI informierte, das daraufhin Fingerabdrücke des Angeklagten in Mister Nolans Haus fand.
Der Angeklagte hasste Ron Nolan, und als er merkte, dass er ihm den Mord nicht anhängen konnte, fuhr er betrunken zu Ron Nolans Haus und brachte ihn um. Die Todesursache war ein Kopfschuss. Und ein Kopfschuss, wohlgemerkt, der nur aus wenigen Zentimetern Entfernung abgegeben wurde.
Der Angeklagte hat Ron Nolan jedoch nicht nur ermordet. Zuerst brachte er ihm durch zahlreiche Schläge massive Verletzungen bei. Er brach ihm den Unterkiefer. Er brach ihm das Handgelenk. Er brach ihm mindestens zwei Rippen. Er brachte Ron Nolan am ganzen Körper Blutergüsse und Platzwunden und andere Verletzungen bei. Die Beweise werden zeigen, dass der Angeklagte Ron Nolan hasste und dass er ihn tötete.
Doch wenn das wirklich ist, was vorgefallen ist: Woher wissen wir, dass er das alles getan hat? Nun, zuallererst, hat er seiner Freundin erzählt, dass er es vorhätte. Dann hat er auf der neben dem Toten gefundenen Tatwaffe seine Fingerabdrücke hinterlassen. Und wenige Stunden nach der Entdeckung von Nolans Leiche fand die Polizei den Angeklagten in seiner Wohnung, Ron Nolans Blut noch an seinen Händen und Kleidern, die Verletzungen, die er bei dem Kampf davongetragen hatte, noch unverheilt und das Blut des Ermordeten noch an dem Schlagring, mit dem er dem Ermordeten die eben beschriebenen Schläge beigebracht hatte.
Der Angeklagte hasste Ron Nolan, und er tötete ihn. Und er tötete ihn auf eine Art, die das Gesetz als Mord ersten Grades definiert. Wenn Ihnen in diesem Verfahren alle Beweise vorgelegt worden sind, werde ich vor Sie hintreten und für folgendes Urteil plädieren.«
Mills ging streng nach Lehrbuch vor und legte leidenschaftslos die einzelnen Aspekte ihrer Beweisführung dar. Um dem Verstorbenen für die Geschworenen menschlichere Züge zu verleihen, sprach sie wie alle Ankläger konsequent als »Mister Nolan« und
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