Schattenkampf
seinem letzten Abend im Irak.«
»Am Abend vor dem Zwischenfall in Masbah? Ist das, was Sie damit sagen wollen?«
Er atmete schwer aus und nickte langsam. »Das sage ich damit.«
»Mister Onofrio, machte Mister Scholler an dem Tag, an dem es zu dem verhängnisvollen Zwischenfall kam, einen betrunkenen Eindruck, als er den Konvoi anführte, der in den Hinterhalt geriet?«
»Nein, Ma’am«, antwortete Onofrio bestimmt.
Mills machte eine Pause, aber dann rückte sie damit heraus. »Aber er hatte doch sicher einen Kater, oder?«
Stephan Ray, der Sprachtherapeut aus dem Walter Reed, nickte Washburn aus dem Zeugenstand enthusiastisch zu. »Er ist eindeutig eine unserer Erfolgsgeschichten. Er hat sehr intensiv an sich gearbeitet, und er hatte großes Glück. Aber dieser erstaunliche Heilungserfolg soll der Schwere seiner Verletzungen keinen Abbruch tun. Zunächst stellte sich mindestens zwei Monate lang die Frage, ob er überhaupt überleben würde, und dann, wie weit er, wenn überhaupt, wieder genesen würde.«
»Welche Bereiche waren am stärksten betroffen?«
»Also, am offensichtlichsten betroffen waren Sprache und Erinnerung, obwohl er zunächst auch einige Koordinationsprobleme hatte, die sich aber mehr oder weniger von selbst behoben.«
»Und wie machten sich die Gedächtnisprobleme bemerkbar?«
»Also, zuerst, unmittelbar nach der Operation, war er natürlich
erst mal drei Wochen lang mehr oder wenig ständig bewusstlos - ich glaube sogar, dass ihn die Ärzte in ein künstliches Koma versetzten, bis sie glaubten, es ging ihm gut genug, um das alles bewusst zu verkraften, aber hundertprozentig sicher bin ich da nicht. Ich gehörte nicht dem Ärzteteam an. Ich bin kein Arzt. Aber als ich Evan zum ersten Mal begegnete, litt er unter, was ich als massive Gedächtnis- und Wahrnehmungsprobleme bezeichnen würde. Er wusste nicht, wo er war, er glaubte, ich arbeitete für die CIA, er wusste nicht, was genau mit ihm passiert war. Aber vor allem hatte er keinen Wortschatz.«
»Gar keinen Wortschatz?«
»Zuerst einen sehr kleinen. Aber dann, im Lauf der Zeit, mit Fortschreiten des Heilungsprozesses, wurde ihm der Standardwortschatz größtenteils wieder geläufig.«
»War das normal?«
»Bis zu einem gewissen Grad, ja. Aber zu einem großen Teil war es auch eine Frage des Gehirntrainings und des Wiedererlernens von allem, was er einmal gewusst hatte. Wir verwendeten Karteikarten, wie man sie auch beim Erlernen einer Fremdsprache benutzt, und Evan machte wirklich erstaunliche Fortschritte, vor allem im Vergleich mit vielen anderen unserer Patienten, die ihre Fähigkeit zu sprechen oder vernünftige Gedanken zu fassen nie wiedererlangten.«
Washburn nickte. »Trotz all dieser Fortschritte, wie lang blieb Evan Scholler bei Ihnen im Walter Reed in Therapie?«
»Fast sechs Monate.«
»Sechs Monate. Und litt er in diesen sechs Monaten, in denen er so große Fortschritte machte, auch an Blackouts?«
»Ich weiß nicht, was genau Sie mit Blackouts meinen?«
»Phasen, in denen er sich nicht erinnern konnte, was er getan hatte oder wo er war. Wie Sie seinen Zustand beschrieben haben, als er nach der Operation zu sich kam.«
»Ach so. Ja. Nicht gerade selten.«
»Nicht selten. Sie waren also an der Tagesordnung.«
»Ja, aber das ist bei traumatischen Hirnverletzungen immer der Fall.«
»Und wie lange konnte so ein Blackout dauern?«
»Das war sehr unterschiedlich. Ich erinnere mich an einen Fall, es war drei, vier Monate nach Beginn der Therapie, als Evan eines Morgens in dem festen Glauben aufwachte, in Bagdad zu sein. Er konnte nicht verstehen, warum es draußen schneite, obwohl es doch in Bagdad Sommer war. Diese Zurückversetzung hielt ich für so gravierend, dass ich sie den Ärzten meldete, aber als er am dritten Morgen aufwachte, war alles wieder in Ordnung.«
»Er bildete sich nicht mehr ein, in Bagdad zu sein?«
»Ja. Er wusste, dass er im Walter Reed war. Er machte einfach an dem Punkt weiter, an den er im Zuge seines Genesungsprozess gekommen war.«
»Aber während dieser drei Tage war er anders?«
»Er glaubte, in Bagdad zu sein.«
»Verstehe. Jetzt hätte ich folgende Frage, Mister Ray. Als Evan danach aufwachte und merkte, dass er im Walter Reed war und nicht in Bagdad, haben Sie ihn da nach seinen Erinnerungen an den Zeitraum gefragt, in dem er in Bagdad zu sein geglaubt hatte? Anders ausgedrückt, haben Sie ihn gefragt, was er von diesen drei Tagen in Erinnerung behalten hatte?«
»Ja, das
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