Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
IP-Adresse?«
»Ja.«
»Wer hatte sie darauf aufmerksam gemacht?«
»So ein ... Programm. International. So ein ...«
Die Wörter wollten nicht in seinen Mund. Er schnalzte mit der Zunge, öffnete die Lippen.
Es war ganz still.
»Die norwegische Polizei, Interpol und Europol haben Programme, um die Ausbreitung von Kinderpornografie zu stoppen«, sagte Henrik leise. »Programme, die IP-Adressen auffangen. Danach müssen sie von den Telefongesellschaften Einblick verlangen ...«
Inger Johanne hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und ließ Jon dabei nicht aus den Augen.
»Wann soll das passiert sein?«
»An dem Freitag. Dem Freitag, als alles ... Freitag.«
»22. Juli?«
Er nickte und schluckte.
»Um welche Tageszeit?«
»Vormittags. Oder ... früher Nachmittag.«
»Wo warst du zu diesem Zeitpunkt?«
»Hier. Hier zu Hause. Wir hatten doch das Essen, du wolltest ...«
Er wirkte nicht mehr ganz so verwirrt. Sein Blick wurde klarer, sie glaubte zu sehen, wie die Muskeln in seinen Augen sich zusammenzogen, seine Pupillen wurden ein wenig kleiner.
Inger Johanne setzte sich auf ihrem Stuhl gerade und legte beide Hände flach auf den Tisch.
»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte sie in den Raum hinein. »Die Polizei muss dich für verrückt halten, wenn sie glauben, dass du Sander umgebracht hast, Insiderhandel betrieben und dich in deinem eigenen Haus mit illegalen Sexualpraktiken amüsiert hast. Nach über vierzig Jahren als gesetzestreuer Bürger, meine ich. So ein Cocktail aus verbrecherischen Ambitionen ist unwahrscheinlich. Ich glaube keinen Augenblick, dass etwas davon stimmt.«
»Insiderhandel«, wiederholte Helga. »Was soll das denn bedeuten?«
»Das ist wohl noch gar kein richtiger Fall ...«
Henrik beugte sich zu Inger Johanne vor und versuchte, ihr etwas zuzuflüstern. Es war so still in der Küche, dass alle hörten, was er sagte.
»Nein«, antwortete sie. »Und wenn Joachim die Geduld aufgebracht hätte, zu warten, bis die Polizei beschlossen hätte, wie sie vorgehen wollte, wäre uns viel Elend erspart geblieben.«
Sie fing für einen Moment Joachims Blick ein. Er machte eine vage Handbewegung und schaute zur Decke hoch.
»Zieh mich hier bitte nicht rein. Jetzt gehe ich.«
»Nein. Das tust du nicht. Weißt du, wie viele Fälle die Wirtschaftssektion der Osloer Polizei einstellt?«
Joachim war aufgestanden. Henrik ging zur Tür, schloss sie und blieb stehen, eine nasse stramme Schildwache.
»Viele«, sagte Inger Johanne irritiert, als Joachim keine Antwort gab. »Vermutlich viel zu viele. Schwierige Fälle sind das. Ich an deiner Stelle hätte lieber abgewartet. Aufs Beste gehofft. Die Sache ausgesessen.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Du bist eigentlich ein netter Junge«, sagte sie resigniert. »Ich mag dich. Habe dich gemocht. Du hast Sander viel bedeutet. Ich glaube, du hast ihn geliebt. Er hat dich auf jeden Fall geliebt. Aber du liebst auch das Geld, Joachim. Man sollte ja meinen, du hättest genug, aber Geld hat die seltsame Eigenschaft, dass es ...«
Sie seufzte und fing an, sich die Stirn zu massieren.
»Wenn man viel hat, scheint es doch nicht genug zu sein. Du hast außerdem gern viele Kontakte. Redest den Leuten nach dem Mund. Besorgst ihnen Vorteile und Aufmerksamkeit. Davon lebt ihr ja wohl, oder, ihr in der PR-Branche? Netzwerke? Große, gute Netzwerke? Und ohne deine unvorstellbare Blödheit ...«
»Wovon redet ihr hier eigentlich?«, schaltete sich Ellen ein.
»Klappe halten«, fauchte Helga.
»Du hattest unangebracht große Angst«, sagte Inger Johanne und starrte Joachim fast überrascht an. »Auf irgendeine Weise hattest du offenbar erfahren, dass die Behörden in irgendwelchen finanziellen Transaktionen herumschnüffelten, und ...«
»Ich hab es ihm gesagt«, sagte Jon heiser.
»Wann?«, fragte Inger Johanne.
»Am Dienstag. Am Dienstag vor dem 22. Juli. Wir haben die ganze Woche gearbeitet, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die ganze Woche, und ...«
Er schaute sich verwundert um, als merke er erst jetzt, wo er war.
»Das weiß ich noch, Jon«, sagte Inger Johanne. »Ich konnte nicht verstehen, warum du um jeden Preis sofort nach Sanders Tod wieder arbeiten wolltest. Ihr wart außer euch vor Angst, alle beide, aber aus unterschiedlichen Gründen. Du ...«
Wieder berührte sie Jons Arm.
»... weil du wusstest, dass du unschuldig warst, und Angst hattest, deine Firma wegen etwas zu verlieren, was du nicht
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