Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
getan hattest.«
Sie hob ihre Tasse ein wenig und nickte zu Joachim hinüber.
»Und du, weil du Angst hattest, erwischt zu werden. Von allen Dingen auf der großen weiten Welt hattest du davor die allergrößte Angst: erwischt zu werden.«
»Weshalb denn? Weshalb hätte ich denn erwischt werden sollen? Wir wissen ja nicht einmal, ob die Polizei einen Fall hat, und du sagst selbst, dass jede Menge von diesen Ermittlungen eingestellt wird. Wieso zum Teufel kannst du hier einfach behaupten, ich ...«
»Du«, sagte Jon. »Warst du das? Hast du mein Vertrauen missbraucht, mein ...«
»Ich brauch etwas zu trinken«, jammerte Ellen. »Das halte ich nicht aus.«
Niemand versuchte, sie aufzuhalten, als sie sich erhob, den Kühlschrank öffnete und sich einen großen Gin mit wenig Tonic mixte. Es sagte auch niemand etwas, bis sie wieder saß, zwischen Helga Mohr, düster und streng, und Jon.
»Ich könnte überhaupt nichts behaupten«, sagte Inger Johanne. »Ohne deinen unbeschreiblich törichten Versuch, die Aufmerksamkeit der Polizei auf Jon zu lenken.«
»Was?«, fragte Jon.
»Bullshit«, sagte Joachim.
»Ganz ruhig«, sagte Inger Johanne mit einem müden Lächeln. »Ich erwarte nicht, dass du zusammenbrichst und gestehst. Das passiert nur im Film. Ich will nur den anderen hier erzählen ...«
Sie beschrieb mit der Hand eine Kreisbewegung.
»... dass du so furchtbare Angst davor hattest, wegen Insiderhandels festgenommen zu werden, dass du beschlossen hast, ihnen Jon in den Rachen zu werfen, wegen Besitz von Kinderpornografie.«
»Was?«, fragte Jon abermals, und nun zeigte sein graubleiches Gesicht wieder nur Verwirrung.
»Glaubst du wirklich, dass die Polizei«, fragte Inger Johanne, offenbar ehrlich empört, ehe sie einen Schluck Tee trank und noch einmal anfing. »Glaubst du wirklich, dass die norwegische Polizei nach der These operiert, einmal Schurke, immer Schurke? Hast du wirklich geglaubt, wenn Jon wegen Kinderpornografie festgenommen würde, dass die Polizei dann automatisch glauben würde, dass er auch hinter dem Insiderhandel steckt? Du bist auf so viele Weise so sympathisch, aber du bist auch der absolute Idiot. Angst kann so viel mit den Menschen machen.«
Joachim verzog keine Miene.
»Aber woher weißt du das alles?«, fragte Henrik jetzt von seinem Posten an der Tür.
»Setz dich, Henrik. Joachim haut nicht ab. Oder, Joachim?«
Noch immer keine Reaktion.
Henrik kehrte zögernd an seinen Platz zurück.
»Als ich am Freitag, dem 22. Juli, um kurz nach drei in dieses Haus hier gekommen bin«, begann Inger Johanne, »stand die Haustür offen. Die Klingel war defekt, wie ihr sicher noch wisst. Ist defekt. Noch immer. Als niemand antwortete, bin ich ins Haus gegangen. Habe gerufen, bekam aber keine Antwort, außer deinem Weinen, Ellen, und etwas von Jon, das ich nicht verstehen konnte. Ich ging die Treppe hoch. Sander war tot und lag auf Ellens Schoß. Das Interessante hier ist ein kleines Detail, das mir aufgefallen war, bevor ich nach oben gegangen bin. Im Gang steht eine Kommode ...«
»Ein Sekretär«, korrigierte Helga streng.
»Und die eine der Türen unten hatte sich ein wenig verzogen. Sie stand offen, als ich kam. Einen Spaltbreit.«
Inger Johanne maß mit Daumen und Zeigefinger vier bis fünf Zentimeter ab.
»Der Schrank war leer. Jedenfalls war durch diesen Spalt nichts zu sehen. Das habe ich bemerkt, als ich meinen Regenschirm an die Kommode gelehnt habe. Als ich gehen wollte, später am Abend, blieb ich vor der Kommode stehen, um meinen Regenschirm mitzunehmen. Die Tür war immer noch offen, aber nun stand etwas im Schrank. Ein Laptop. Das Licht der Fenster wurde vom matten Metall reflektiert. Ich kann mich deutlich daran erinnern, weil ich die Tür dann geschlossen habe. Sie sperrte ein bisschen, und ich musste drücken. Mir ist sogar das Apple-Logo aufgefallen. Dass ich all das bis heute vergessen habe, liegt wohl an zwei Dingen. Erstens, dass ich mit Kalle Hovet gesprochen habe, als ich ging, und mich auf ihn konzentrierte. Zweitens sind wir uns wohl alle einig ...«
Sie holte tief Luft und ließ sie langsam entweichen.
»... dass es ein durch und durch grauenhafter Tag war.«
Niemand sagte etwas. Jon saß mit offenem Mund und feuchten Lippen da. Ab und zu schüttelte er sich, wie im Fieber. Ellen hielt das Glas mit der Ginmischung in der Hand, trank aber nicht. Joachim hatte seine Haltung geändert, er saß jetzt zurückgelehnt auf dem Stuhl, die Beine gespreizt
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