Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Menschenseele. Nicht einmal dir. Woher soll ich wissen, dass du mich nicht über die Grants belogen hast?«
»Weil es nicht stimmt«, sagte Trey wütend. »Weil – warum sollte ich lügen?«
»Keine Ahnung«, sagte Mrs Talbot. »Ist mir auch egal.«Sie stand plötzlich auf und schien ihre Benommenheit abzuschütteln. »Ich gehe jetzt. Leb wohl.«
Sie streifte ihn im Vorbeigehen. Und wieder einmal hatte Trey das Gefühl, im Stich gelassen zu werden.
Genauso hat Mom mich verlassen.
. . . Er schob den Gedanken augenblicklich weg.
»Warten Sie!«, rief er Mrs Talbot nach. »Wohin gehen Sie?«
»Das geht dich nichts an«, rief sie über die Schulter zurück
. »Kann ich . . . kann ich mit Ihnen kommen?« Allein die Frage war demütigend, allerdings nicht demütigender als schweigend zurückgelassen zu werden.
»Nein«, sagte Mrs Talbot. Vor der Tür zum Keller und der sich anschließenden Garage blieb sie stehen. »Aber ich gebe dir einen Rat. Bleib nicht zu lange hier. Wenn Regierungen stürzen . . . Sie werden das Haus hier nicht lange in Ruhe lassen. Kriegsbeute, verstehst du.« Sie sah sich um, als bemerke sie die Verwüstung erst jetzt. Sie streckte den Arm aus, um auf einem Bord in ihrer Nähe eine zierliche Kristallvase zu berühren, die der Zerstörung auf wundersame Weise entkommen war. Ein lieb gewonnenes Andenken, vermutete Trey. Vielleicht hat Mr Talbot sie ihr vor Jahren geschenkt und sie brachte es nicht über sich, sie hier zu lassen.
Dann nahm Mrs Talbot die Vase vom Bord und warf sie zu Boden. Sie zersprang in tausend kleine Scherben.
»So«, sagte Mrs Talbot grimmig. »Sollen sie sich bedienen. Sollen sie sich ruhig an allem bedienen.«
Sie ging durch die Tür und war verschwunden.
6. Kapitel
T rey versteckte sich.
Er musste darüber nicht erst nachdenken. Eben noch war er vor der Tür gestanden, die Mrs Talbot ihm gerade vor der Nase zugeworfen hatte, und jetzt kauerte er schon in einem Küchenschrank. Trey hatte ihn bemerkt, weil sämtliche Töpfe und Pfannen herausgeholt und auf den Boden geworfen worden waren. Ansonsten hätte er sich vielleicht in einem Kleiderschrank, unter einem Sofa oder hinter einem Bücherregal versteckt . . .
Es war eng im Inneren des Schranks und er begann so sehr zu beben – nein, es war mehr ein Zittern, er zitterte vor Angst –, dass seine Ellbogen und Knie immer wieder gegen die Holzwände schlugen, die ihn einschlossen. Er hätte in ein anderes Versteck wechseln können, doch das hätte mehr Mut und Willen erfordert, als er besaß, nachdem er wieder einmal mitten in der Gefahr im Stich gelassen worden war.
Aber sie war so schön . . .
, dachte er elend und war dann wütend auf sich selbst. Warum sollte es einen Unterschied machen, ob man von einer schönen oder einer hässlichen Frau im Stich gelassen wurde?
Nein
, verbesserte er sich.
Mom war nicht hässlich. Sie war einfach nur . . . gebrochen
.
Von dieser Seite hatte er es noch nie betrachtet. Schließlichhatte auch sie Dad verloren. Sie hatte ihren Mann und alle Hoffnung verloren – was blieb ihr also noch im Leben?
Ich
, dachte Trey grimmig und es war, als beantworte er eine Frage über sich selbst und nicht über seine Mutter. Sein Zittern ließ für einen Moment nach und das brachte ihn auf die Idee, dass sein Schwindelgefühl eventuell auch vom Hunger kam und nicht nur von der Angst.
Ich bin in einer Küche
, sagte er zu sich selbst.
Wahrscheinlich gibt es direkt vor meiner Nase irgendetwas zu essen
.
Ich muss nur diese Schranktür aufmachen.
Wie dumm und feige war es, bibbernd herumzusitzen und zu hungern statt etwas zu essen.
Trey drückte die Tür einen Spalt weit auf. Im schwachen Schein, der vom Fernsehzimmer hereinsickerte, konnte er einen Kühlschrank erkennen. Er schob erst den einen Fuß heraus, dann den anderen, immer sorgsam darauf bedacht, den herumliegenden Töpfen und Pfannen auszuweichen. Dann zwängte er den restlichen Körper aus dem Schrank. Geduckt streckte er den Arm aus und zog den Kühlschrank auf.
Die plötzliche Helligkeit erschreckte ihn, dennoch griff er hinein und schnappte sich blindlings einige grellbunte Faltschachteln und Behälter. Das Essen fest an sich gedrückt huschte er zurück in den Schrank.
Da er bei geschlossener Tür nicht genug Platz hatte, um zu essen, riskierte er es, sie offen zu lassen. Auf diese Weise konnte er sogar sehen, was er aß. Ein Pappkarton enthielt Reis und irgendwelches geheimnisvolle Gemüse in einer wür zigen Soße,
Weitere Kostenlose Bücher