Schattenkuss
voll ins Schwarze getroffen. Und nicht nur das – immer häufiger ertappte sich Lena in der letzten Zeit bei dem Gedanken, dass sich daran vielleicht nie etwas ändern würde. Sie würde ewig außen vor bleiben, viel zu ruhig, nachdenklich und ernst für die Jungs, die sie kannte.
»Quatsch«, sagte sie laut und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse.
Vielleicht lag es ja an der Narbe, dass sie so war, wie sie war: eine Beobachterin, eine, die nicht gerne im Mittelpunkt stand, sondern lieber am Rand. Die sich zu schnell zurückzog, nicht kämpfte und zu allem Überfluss auch noch hoffnungslos harmoniesüchtig war. Ganz anders als ihre beste Freundin Maike. Die ging keiner Konfrontation aus dem Weg, weder mit ihren Eltern noch mit den Lehrern. Ganz egal, wie dick die Luft danach war. Es gab Tage, da wünschte Lena sich, wie Maike zu sein.
Sie wandte sich vom Spiegel ab. Dabei fiel ihr Blick auf den Bikini, der auf dem Bett lag. Tiefblau wie das Meer. Eine Farbe, die super zu ihren blonden Haaren und den grünen Augen passte. Augen wie Smaragde. Wenigstens etwas war schön an ihr.
Den Bikini hatte sie auf Sizilien tragen wollen, beim Sonnenbaden am Pool. Wochenlang hatte Lena sich auf diesen Urlaub gefreut. Aber Steffi, ihre Mutter, hatte die Reise kurzerhand storniert. »Tut mir leid, aber ein solcher Luxusurlaub ist in diesem Jahr einfach nicht drin«, hatte sie gesagt, geseufzt und dabei die Lippen aufeinandergepresst. »Wir können froh sein, wenn wir über die Runden kommen.« Lena hatte ihre Enttäuschung nur mühsam verbergen können. Ihr Vater sollte sich nicht noch mieser fühlen, er stand in letzter Zeit in Steffis Augen sowieso schon oft genug da wie ein Versager. Dabei war es nicht Toms Schuld, dass er den Job verloren hatte.
Lena ließ sich wieder in den Sitzsack fallen. Ferien daheim in Stuttgart! Wie langweilig das werden würde! Jedenfalls solange Maike Sprachferien in Cornwall machte. Einzig Lenas kleiner Bruder Lukas freute sich über den abgesagten Urlaub. Er durfte stattdessen für drei Wochen mit den Pfadfindern ins Zeltlager ins Altmühltal. Burgen, Höhlen und Lagerfeuer fand er klasse.
Zu allem Überfluss hatte Steffi auch noch ab morgen Urlaub und schmiedete sicher bereits Pläne für gemeinsame Unternehmungen. Museumsbesuche, Fahrradtouren, Mutter-Tochter-Gespräche. Aber das konnte sie vergessen! Wenn Lena schon die Ferien daheim verbringen musste, würde sie das auf ihre Weise tun.
»In zehn Minuten gibt es Abendessen«, rief Tom aus der Küche. Ist kaum zu überriechen, dachte Lena. Knoblauchdunst zog durchs Haus. »Deckst du bitte den Tisch?«
Sie griff ganz automatisch nach dem Camcorder und lief nach unten. Filmen war ihr Hobby, seit sie die Kamera vor ziemlich genau drei Jahren zum dreizehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Inzwischen hatte sie einen eigenen Laptop mit Schnittprogramm und produzierte kleine Filme. Es gab einen über Sandrine, eine Austauschschülerin, die ein halbes Jahr in Lenas Klasse gegangen war, in einem anderen quatschte Maike den Frust über die Scheidung ihrer Eltern in Lenas hypnotisches Auge . Danach hatte sie sich besser gefühlt.
Für die Sommerferien hatte Lena sich vorgenommen, eine längere Dokumentation zu drehen. Jetzt, wo der Traumurlaub auf Sizilien gestrichen war, fehlte ihr nur noch das passende Thema.
Tom stand am Herd und rührte in einem Topf mit Soße, während in einem anderen Spaghetti kochten. Der Knoblauchgeruch verschlug Lena fast den Atem. Sie hob den Camcorder, schaltete ihn ein, schwenkte auf den geflochtenen Knoblauchstrang neben dem Schneidebrett und dann zu Tom. »He, Tom, wie viel Knoblauch hast du da denn reingetan? Den halben Zopf?«
Er lächelte in die Kamera. Der Zweitagebart stand ihm gut, genau wie die lässige Jeans und das Leinenhemd. Seit er arbeitslos war, sah er viel besser aus, fand Lena. Als glatt rasierter Businesstyp hatte er immer seltsam fremd und verkleidet gewirkt. »Zwei Knollen, wie es im Rezept steht«, sagte er nun.
»Kochst du heute transsilvanisch? Mit diesem Rezept hältst du uns garantiert jeden Vampir vom Leib.« Lena fokussierte den Topf, in dem die Soße köchelte.
»Ich dachte, moderne Vampire leben nicht in Transsilvanien, sondern in den USA, in Forks, um genauer zu sein, und mit Knoblauch wären sie längst nicht mehr zu schrecken.« Tom grinste, dann schmeckte er schlürfend die Soße ab und runzelte die Stirn.
Lena schüttelte den Kopf. Vielleicht war es doch ein Fehler
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