Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Und außerdem funktioniert das Bento wie ein Stimmungsbarometer zwischen meiner Frau und mir“, erklärt er augenzwinkernd. „Packt sie mir nur Reis mit einer roten sauren Pflaume ein, kann ich mich auf Zank gefasst machen. Bekomme ich aber Fisch, Würstchen und Obst, läuft alles prima!“ Ein Blick auf sein üppiges Mittagessen sagt mir, dass Frau Miura gerade sehr zufrieden mit ihrem Mann ist. Ich frage, ob er sich denn sein Mittagessen morgens manchmal selbst zubereite. Mittlerweile sollen zehn Prozent aller Männer ihren Henkelmann selbst füllen. Er wehrt ab: „Ein Bento-Danshi, ein Bento-Mann, bin ich nicht. Das schaffe ich morgens gar nicht. Meine Kinder bekommen ja auch ihr Mittagessen mit auf den Weg. Das macht meine Frau alles ganz schnell allein.“
Nach der kurzen Pause in der Sonne geht es zurück ins Büro. Zum Glück stört es niemanden, wenn man in der anschließenden Besprechung kurz die Augen schließt. Das beweise nur, dass man hochkonzentriert bei der Sache sei, behauptet Miura. Er selbst ist auch so enorm bei der Sache, dass seine Augen zufallen. Der Tag ist schließlich noch lange nicht zu Ende. Gegen 17 Uhr steht noch ein Firmenbesuch mit dem Chef an. Will man Eindruck schinden, fährt man mit dem Taxi, ansonsten wird nun immer öfter die Bahn genommen. Aus Umweltgründen, heißt es offiziell. Doch alle wissen, dass auch die Firma sparen muss. Früher gab es vom Chef öfter mal Taxigutscheine als kleines Dankeschön. Die haben alle gerne nach der Konpa, dem Saufgelage mit Kollegen, zur Heimfahrt genutzt. Doch die Gutscheine bekommen sie kaum noch und müssen daher auch spät abends mit der Bahn heim. Viele betrunkene Salariman schlafen während der Fahrt tief und fest und wachen, wie von Zauberhand berührt, rechtzeitig zum Verlassen des Zuges wieder auf. Miura kann das leider nicht. Nach der Silvesterfeier im letzten Jahr hatte er den Zug in die falsche Richtung genommen. Als ihm die Lichter von Yokohamas Chinatown entgegenleuchteten, war der letzte Zug Richtung Norden schon lange weg. Damals musste Miura die Nacht im Hotel verbringen.
„Dieses Jahr habe ich meiner Frau das Versprechen abgerungen, dass ich mir nach der Jahresabschlussfeier ein Taxi nehmen darf“, berichtet Miura stolz. Sie verwaltet schließlich das Familieneinkommen, von seinem mickrigen Taschengeld kann er sich gewöhnlich kein Taxi leisten. Das reicht gerade mal für Zigaretten, Drinks und Zeitschriften. In Japan gibt es keine gemeinsamen Bankkonten, so behält die Ehefrau kurzerhand die Bankkarte und der Mann muss sie um Geld bitten. Die wenigsten Ehemänner regen sich darüber auf, auch Miuras Kollegen ergeht es nicht anders. Daheim trifft die Frau die wichtigen Entscheidungen für die Familie, doch die Firma bestimmt deren Kurs. Steht zum Beispiel eine Versetzung an, wird nicht lange gefackelt. Eher einem Marschbefehl gleich als eine wirkliche Chance zur beruflichen Veränderung wird der Betroffene kurzfristig informiert. Ablehnung ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der moderne Samurai folgt dem Ruf seines Herrn ohne Wenn und Aber. Frau und Kinder haben sich anzupassen. Sollte ein kurzfristiger Umzug unmöglich sein, weil etwa der Sohn vor wichtigen Prüfungen steht, wird der tapfere Salariman kurzerhand zum Strohwitwer gemacht. Er muss allein gehen. Das ist völlig normal und schadet weder Ehe noch Ansehen. Selbst die Ehefrau lässt den Gatten ohne große Sorge ziehen. Sie weiß, die Firma wird den Mann im fernen Osaka oder sonst wo schon ordentlich auf Trab halten, und am Wochenende darf er heim. Das hat eindeutig Vorteile, so kann der Mann am Freitag auf einen regulären Feierabend um 17 Uhr bestehen. Am Ende hat die Familie so mehr von ihrem „Business Bachelor“ als von unserem Pendler Miura, der samstags auch noch mal los muss und den Sonntag recht erschöpft vor dem Fernseher verbringt.
Noch ist das Wochenende fern und Miuras Arbeitstag noch lange nicht zu Ende. Obwohl es schon auf 19 Uhr zugeht, sind Miura und sein Chef nach dem Außentermin noch einmal zurück ins Büro gefahren. Der Feierabendgong hat schon lange geläutet, wann der Chef wohl heute gehen wird? Bevor er nicht aufsteht und „O-saki ni!“ („Ich gehe dann mal!“) ruft, kann keiner der Männer heimkehren. Das ist eines der ungeschriebenen Gesetze der japanischen Arbeitswelt. Der Boss bestimmt den Feierabend, vorher verlässt niemand den Raum. Einzig die OLs gehen pünktlich heim, von ihnen erwartet niemand Überstunden. Das Ende ihrer
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