Schattennächte: Thriller (German Edition)
belagerten uns wegen Interviews.
Nach den landesweit ausgestrahlten Berichten über unseren Fall wurden wir mit Trost und Mitgefühl nur so überschwemmt. Wildfremde Menschen schickten uns Geld für eine Belohnung, für einen Hilfsfonds für die Familie, für Leslies Behandlung/Reha/Ausbildung/Therapie, wenn sie wieder bei uns war. Wir erlebten eine unglaubliche, überwältigende Hilfsbereitschaft.
Die Leute brachten uns Essen. Freunde erledigten Besorgungen für uns. Zwischen den Gesprächen mit Polizei und Medien und den Sympathiebekundungen hatten Lance und ich kaum eine Minute für uns, um mit alldem fertigzuwerden, was auf uns einstürmte.
Angebliche Wahrsager meldeten sich und erklärten, Leslie sei am Leben, Leslie sei tot, Leslie werde in einem dunklen, fensterlosen Raum gefangen gehalten, Leslie liege in einem flachen Grab in der Nähe von Eisenbahngleisen oder in einem Gewässer.
Als aus den Stunden Tage wurden, aus den Tagen Wochen, Monate, Jahre, nahm die Zahl der Leute und der Hilfsangebote immer mehr ab. Zuerst zogen sich die Fremden zurück, dann die meisten Polizeibehörden, dann die Freunde, und zuletzt wurde es sogar unseren Verwandten zu viel. Schließlich war auch Lance weg und ließ mich allein zurück, und ich versuchte verzweifelt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zurückzugewinnen.
Mit jeder neuen Nachricht, die ich in den Medien unterbringen konnte, lebte das Interesse für einen Tag oder zwei oder zehn wieder auf. Dann schwand es erneut und mit ihm meine Hoffnung und meine Kraft. Der letzte Bericht war zwischen irgendwelchen unbedeutenden Meldungen im Lokalteil einer Wochenzeitung erschienen. Ich hatte nicht erwartet, dass etwas dabei herauskommen würde. Gekommen war Greg Hewitt.
Eines Tages stand er vor meiner Tür, ein unterbeschäftigter Privatdetektiv auf der Suche nach einer Erfolgsgeschichte, mit der er sein Geschäft ankurbeln konnte, und erzählte etwas von Bewunderung und Mitgefühl, was mir beides ziemlich egal war. Mitleid – ob echt oder geheuchelt – kostet nichts, und ich konnte nichts damit anfangen. Zu diesem Zeitpunkt kümmerte es mich nicht mehr, ob andere sich kümmerten. Auch im besten Fall hielten die guten Absichten nicht lange vor. All die wohlmeinenden Worte hatten mir meine Tochter nicht zurückgebracht.
Ich hatte kein Interesse an Greg Hewitt oder seinen Referenzen, falls er denn welche hatte. Es interessierte mich nicht, woher er gekommen war und warum. Ich vermutete, dass es mehr mit Gier als mit Anteilnahme zu tun hatte. Es war mir egal. Gier ist ehrlich. Gier ist verständlich. Für Gier war ich bereit zu bezahlen.
Ich glaubte nicht, dass er Leslie finden könnte. Wenn schon die Polizei mit einem riesigen Aufgebot und all den forensischen Mitteln nichts zustande gebracht hatte, wie sollte es dann ein unterbeschäftigter Privatdetektiv schaffen?
Und er hatte es natürlich nicht geschafft. Einige Monate lang war er immer wieder bei mir aufgetaucht, hatte Zeugen befragt, die bereits ein Dutzend Mal befragt worden waren, hatte Roland Ballencoa aufgespürt und sich mit seinen Gewohnheiten vertraut gemacht. Er war in Ballencoas Haus in San Luis Obispo eingebrochen, hatte aber nichts gefunden. Er war Ballencoa mehrere Tage lang gefolgt, ohne Ergebnis – bis er herausfand, dass Ballencoa nach Oak Knoll gezogen war.
Ich habe nie jemandem von Greg Hewitt erzählt. Ich habe ihn nie in mein Haus gelassen. Ich habe dafür gesorgt, dass Leah ihm nie begegnete. Ich habe niemals mit Freunden über ihn gesprochen. Er sah zwar ganz gut aus und verfügte auch über einen gewissen Charme, aber irgendetwas an ihm stieß mich ab. Er hatte etwas Schmieriges und Ruheloses an sich. Vielleicht war das, was ich zu sehen glaubte, aber auch nur eine Reaktion auf meinen eigenen Abscheu davor, wie weit ich zu gehen bereit war.
Ich bat ihn, mir Ballencoas neue Adresse in Oak Knoll zu besorgen. Es sollte meine letzte Bitte an ihn sein. Es gefiel ihm nicht, in welche Richtung meine Überlegungen gingen. Vermutlich gefiel es ihm auch nicht, dass ich unsere lose Geschäftsbeziehung beenden wollte. Er wollte dranbleiben. Es war kein Geheimnis, dass Lance und ich Geld hatten. Und es war kein Geheimnis für mich, dass Greg Hewitt auf Geld aus war. Ich war bereit, es ihm zu geben. Aber er war auf mehr aus.
Er hatte die seltsame Vorstellung, dass es eine Art von Beziehung zwischen uns geben könnte. Wenn schon keine Liebesbeziehung, dann zumindest eine sexuelle. Er gehörte zu der
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