Schattennächte: Thriller (German Edition)
am Küchentresen. »Daddy, erzähl Onkel Tony, wie mich die Giraffe abgeleckt hat.«
»Das mache ich, Süße«, sagte Vince und strich seiner Tochter über die zerzausten Locken. »Wir erzählen es ihm später ganz genau. Aber erst muss ich mit Onkel Tony noch was wegen der Arbeit besprechen. Du bleibst solange hier bei Mommy und hilfst ihr, auf deinen Bruder aufzupassen, okay?«
Haley verdrehte theatralisch die Augen. »Och manno!«
Vince schenkte sich aus der Flasche auf dem Tresen ein Glas Cabernet ein und ging damit hinaus zum Pool.
»Habe ich dir schon gesagt, was für ein unverschämtes Glück du hast?«, fragte Mendez, während er sein Bier öffnete.
»Nein, heute noch nicht«, erwiderte Vince grinsend. Er ließ sich auf der L-förmigen Steinbank an einer Ecke des Swimmingpools nieder. »Das Leben ist schön.«
Mendez setzte sich ihm schräg gegenüber. »Wie geht’s Anne? Sie sieht fantastisch aus.«
»Ein bisschen morgendliche Übelkeit und ein bisschen müde, und hör gefälligst auf, meine Frau anzustarren«, sagte Vince und warf ihm einen halb scherzhaften, halb finsteren Blick zu. »Du solltest dir selbst eine nette Frau suchen und eine Familie gründen, Anthony.«
Mendez trank einen Schluck von seinem Bier. »Klar doch … nichts leichter als das.«
Einen Moment lang schwiegen sie beide verlegen.
»Sara war einfach noch nicht so weit, Tony«, sagte Vince schließlich leise.
Sara Morgan. Wendys Mutter. Die schöne Sara mit den Meerjungfrauenhaaren und den kornblumenblauen Augen. Ein verletztes Reh, das beschützt werden musste. Er hätte es wirklich gern getan.
»Damit will ich nicht sagen, dass sie sich nicht wieder fängt. Sie braucht einfach Zeit, um zu sich selbst zu finden. Steve hat eine Menge Schaden angerichtet.«
Mendez schüttelte den Kopf. »Nein. Daraus wird nichts, Vince. Aber ich komme damit klar. Ich bin Teil einer schlimmen Zeit in ihrem Leben. Jedes Mal, wenn sie mich angesehen hat, hat sie sich daran erinnert, was sie durchgemacht hatte. Dazu habe ich schließlich selbst noch beigetragen in der Zeit, als wir dieses Arschloch von Ehemann auf unserer Liste der Verdächtigen hatten.«
Er konnte nicht leugnen, dass er ein bisschen verliebt in sie gewesen war. Auch Vince wusste das, sprach es jedoch nicht an.
»Also, dann erzähl mir mal was über Roland Ballencoa.«
Mendez berichtete, was er beim Durchforsten der Polizeiakten mit Tanner herausgefunden hatte. Leone hörte aufmerksam zu.
»Wie aus dem Lehrbuch«, sagte er schließlich. »Kein Wunder, bei der Kindheit. Von der Mutter verlassen, von einer emotional distanzierten Verwandten großgezogen. Kein männliches Vorbild.«
»Ich bin sicher, dass es auch zu irgendeiner Form von sexuellem Missbrauch gekommen ist, als er ein Kind war.«
Vince nickte. »Kann gut sein. Allerdings kenne ich auch Fälle, in denen der Täter von sexuellen Gewaltfantasien in seiner Jugend erzählte, ohne dass er sich an einen Missbrauch erinnern konnte.«
»Missbrauch ist ein relativer Begriff.«
»Vielleicht hat nur niemand die Relation begriffen«, fing Leone den Ball auf. »Jedenfalls hat sich der liebe Roland schon in jungen Jahren als Spanner und Sittenstrolch betätigt, und höchstwahrscheinlich hat er auch das Ableben seiner Tante beschleunigt.«
»Und ist damit davongekommen.«
»Diese Art von Erfolg ist gefährlich«, sagte Vince. »Ich würde zu gern mal einen Blick auf das damalige Vernehmungsprotokoll werfen.«
»Wenn es denn eines gibt«, sagte Mendez. »Immerhin ist das alles zwanzig Jahre her, und der Fall wurde von der Polizei in irgendeinem Provinzkaff untersucht.«
»Eine so lange Zeit sind zwanzig Jahre auch wieder nicht, Junior«, sagte Vince. »Wir haben unsere Berichte nicht mehr in Steintafeln gemeißelt.«
»Aber es wurden keine Videoaufnahmen gemacht«, erklärte Mendez. »Vermutlich auch keine Tonbandaufnahmen. Wir reden hier von 1970. Was hattet ihr damals? Ein Grammofon?«
»Einen kräftigen Fuß, um dir damit in den Hintern zu treten«, sagte Vince lachend. »Und den hab ich immer noch.«
»Ach ja? Vielleicht kannst du irgendwann ja mal deine Schlaghosen aus dem Schrank holen und mir eine Kostprobe geben«, zog Mendez ihn auf. »Aber versprich mir, dass du nicht hinfällst und dir die Hüfte brichst. Ich will nicht am Tod einer lebenden Legende schuld sein.«
Sie lachten beide herzlich – bei der Arbeit, mit der sie ihr täglich Brot verdienten, mussten sie ab und zu mit schlechten Witzen Dampf
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