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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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Ich will nicht sagen, dass Friedel Carhaun die Zukunft kannte.
    Er war weder Wahrsager noch Scharlatan, auch kein Wunderkind. Er war so wie du und ich. Nur manchmal, da ahnte er Dinge voraus und sah Bilder, die er meist selbst nicht deuten konnte.
    Mir rettete er das Leben damit. Das ist nun fast zehn Jahre her. Aber das Gefühl eines leichten Grauens hat mich seither nicht mehr losgelassen.
    Ich lernte Friedel im Zug kennen, als wir beide zum ersten Semester unseres Studiums anreisten. Er war ein gedrungener, kräftiger Mann, dunkelblond, spitzbübisch und voller Tatendrang. Ich fand ihn vom ersten Augenblick an sympathisch. Er hatte noch kein Zimmer, aber er war felsenfest davon überzeugt, dass er am nächsten Vormittag bereits ein passendes finden würde. So lud ich ihn für diese Nacht zu mir ein. Erfreut nahm er mein Angebot an.
    Aber als wir das Haustor passierten, wurde er plötzlich unruhig. Gehetzt schaute er sich in dem leeren Flur um. Seine Augen hatten alle Fröhlichkeit verloren und waren weit aufgerissen. Er hielt mich krampfhaft am Ärmel meiner Jacke fest.
    »Freddie«, stammelte er, »wir müssen rasch fort …«
    Ich sah ihn ganz verblüfft an.
    »Fort?« fragte ich verständnislos. »Ich wohne hier … Komm schon, ich bin froh, wenn wir erst diese Koffer los sind …«
    Er blinzelte und wischte sich mit der Hand über die Augen.
    »Was hast du auf einmal?« fragte ich verwundert.
    Er schüttelte den Kopf. »Das Haus«, murmelte er. »Etwas ist mit dem Haus …«
    »Was?«
    Er sah mich einen Augenblick an, dann zuckte er die Achseln und meinte mit einem verlegenen Lächeln: »Nur eine Ahnung, Freddie … Ich weiß nicht genau, was – aber meine Ahnungen trügen mich nie … Merk dir das lieber …!«
    »Schon gut«, erwiderte ich ein wenig verstimmt. »Komm schon.«
    Wir stiegen in den sechsten Stock hoch. »Ich werde heute Nacht nicht hier schlafen«, stellte er fest, während ich läutete.
    »Wie du willst.«
    Ich verstand seine plötzliche Sinnesänderung nicht. Er schien vor etwas Angst zu haben.
    Frau Bärmann öffnete uns gleich darauf. »Ah, der junge Herr Clement!« Sie war eine sehr gastfreundliche Frau, und sie lud Friedel zu Kaffee und Kuchen ein. Seine Unruhe stieg während der nächsten Viertelstunde. Er drängte mich zu einem Spaziergang, und ich stimmte schließlich zu – hauptsächlich deshalb, weil mir seine Nervosität und sein ständiges Drängen vor Frau Bärmann peinlich waren. Wir schleppten unsere Koffer in das Zimmer, das nun für die nächsten Monate mein Zuhause sein würde. Wir warfen einen Blick aus dem Fenster, und der Ausblick aus dem sechsten Stock war recht eindrucksvoll.
    Friedel sah mich plötzlich aschfahl an, und ich dachte schon, ihm wäre schwindlig geworden.
    »Freddie, da ist Schutt überall – auf der ganzen Straße. Und Blut …« Seine Hand umklammerte meinen Arm. »Es … es ist alles ganz frisch …« Ein plötzlicher Ausdruck der Panik kam in seine Augen. »Wir müssen raus hier!«
    Ich wollte protestieren, aber er zerrte mich einfach mit sich.
    Ich sah, dass es aussichtslos war, mit ihm zu argumentieren.
    Außerdem hatte mich seine Hysterie ein wenig angesteckt, und nicht zuletzt war ich nun auch neugierig, was das alles sollte.
    Er ließ meinen Arm nicht los, bis wir in die nächste Querstraße eingebogen waren. Dort gab er mich frei und erklärte heftig atmend: »Du musst mich für verrückt halten, nicht wahr?«
    »Naja«, setzte ich zögernd an.
    »Hör zu«, fuhr er hastig fort, »und lach jetzt nicht! Ich sehe manchmal Dinge, die erst passieren.«
    »Was?« entfuhr es mir. »Was meinst du damit?«
    »Ich kann’s dir nicht erklären, aber es ist so. Das erste Mal, als es mir passierte, da war ich elf. Wir wohnten damals noch in Berghain, das war ein winziges Nest, in dem es außer ein paar Bauernhäusern und Wirtshäusern nicht viel gab. Ich trieb mich viel auf einem der Bauernhöfe herum und freundete mich mit einem Mädchen an. Sie war so alt wie ich. Wir fuhren auch im Schulbus zusammen. Ich mochte sie gern, und sie mich wohl auch. Sie war das erste Mädchen, das ich geküsst hatte.
    Sie hieß Gerti …«
    Er wurde ein wenig rot, während er sprach. Als ich nichts erwiderte, sprach er rasch weiter: »Ich verbrachte oft den Nachmittag im elterlichen Anwesen.
    Auch an diesem Tag.« Seine Stimme klang traurig. »Als ich mich verabschiedete, da hatte ich plötzlich so ein seltsames Gefühl. Jetzt weiß ich, dass dieses Empfinden eine Vorahnung

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