Schattennächte: Thriller (German Edition)
ablassen. Mendez trank ein paar Schluck Bier, Vince nippte an seinem Wein.
»Na gut«, sagte Vince. »Ballencoa wurde also wegen sexueller Handlungen mit Minderjährigen eingebuchtet. Wie lange?«
»Fünfzehn Monate im Bezirksgefängnis. Er hat versucht, ein vierzehnjähriges Mädchen zum Oralsex zu zwingen.«
»In welcher Beziehung standen sie zueinander?«
»In gar keiner. Sie hat gelegentlich Verwandte besucht, die in seiner Nachbarschaft wohnten. Und sie sind sich ein paarmal am Strand begegnet. Eines Tages hat das Mädchen eine Abkürzung durch den Park genommen und ist Ballencoa in die Arme gelaufen. Er hat sie in einen Lagerschuppen gezerrt und wollte sie dazu zwingen, ihm einen zu blasen. Sie konnte flüchten. Er behauptete, es wäre einvernehmlich gewesen, aber sie war minderjährig, von daher war es egal.«
»Fünfzehn Monate ist ziemlich lange für eine erste Verurteilung«, sagte Vince. »Lange genug, um im Knast zu lernen, wie man ein erfolgreicher Verbrecher wird.«
»Und einen Freund zu finden – der nach dem Tod der Tante ebenfalls vernommen wurde«, sagte Mendez. »Michael Craig Houston – missratener Sprössling einer anständigen Familie mit ein paar kleineren Vorstrafen: zweimal minderschwere Körperverletzung, Einbruch, Drogen, Bagatelldiebstahl. Nichts Großes, keine Sexualdelikte. Nach ihrer Entlassung wohnten die beiden im Gästehaus der Tante. Für das Wochenende, an dem die Tante starb, haben sie sich gegenseitig ein Alibi gegeben.«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass etwas richtig Übles dabei herauskommt, wenn sich zwei Kriminelle zusammentun«, sagte Vince.
»Abgesehen von einem Batzen Geld«, sagte Mendez. »Ballencoa hat sich mit seinem Erbe nach San Diego abgesetzt, um dort als Fotograf tätig zu werden und sein altes Hobby wiederaufzunehmen: Voyeurismus, Einbrüche und Klauen von Unterwäsche.«
»Irgendwelche Gewalttaten?«
»Nein.«
»Wie alt war er zu dem Zeitpunkt? Mitte, Ende zwanzig?«
Mendez nickte. »1984 kam er nach Santa Barbara. Da war er zweiunddreißig.«
»Ein Sexualdelikt mit neunzehn Jahren, dann möglicherweise ein Mord, und anschließend gibt er sich damit zufrieden, an Unterwäsche zu schnüffeln, bis er Mitte dreißig ist?« Vince schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Es fällt mir schwer, das zu glauben.«
Mendez zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls ist er nicht wegen irgendeiner Gewalttat geschnappt worden. Ich habe angerufen und mit dem Detective gesprochen, der den Fall damals bearbeitet hat. Er hielt Ballencoa für einen Gelegenheitstäter. Lebte allein, keine Freundin, blieb für sich. Unauffällig.«
»Und dann zieht er nach Santa Barbara und begeht aus heiterem Himmel das perfekte Verbrechen?«, sagte Vince. »Er entführt auf offener Straße ein Mädchen und lässt es spurlos verschwinden, so als hätten es Außerirdische in ihr Raumschiff gebeamt. Kein einziger brauchbarer Hinweis. Das kann ich mir nicht vorstellen. Bei einem Ersttäter – vor allem, wenn es sich um eine spontane Tat handelt – schießt der Adrenalinspiegel in die Höhe, er verliert die Nerven, macht Fehler«, fuhr er fort. »Dieser Typ hat sich nicht die geringste Nachlässigkeit erlaubt.«
»Er hatte reichlich Zeit, sich mit der Umsetzung seiner Fantasien zu beschäftigen«, sagte Mendez. »Er ist Perfektionist. Vielleicht hat er die ganze Sache im Laufe der Jahre hundertmal im Kopf durchgespielt, und als sich dann schließlich die Gelegenheit bot, war er bestens vorbereitet.«
»Möglich«, räumte Vince ein. »So wie er vorbereitet war, um dir mit diesem Diktiergerät eins reinzuwürgen.«
»Offensichtlich macht es ihm Spaß, seine Spielchen mit anderen zu treiben«, sagte Mendez. »Mit diesem Einbruch ins Haus der Lawtons, nachdem er bereits auf der Liste der Verdächtigen stand, wollte er doch nur ›Ihr könnt mich alle mal‹ sagen.«
»Da hast du recht«, pflichtete Vince ihm bei. »Er ist arrogant. Er genießt es, allen zu zeigen, wie schlau er ist. Wenn er Leslie Lawton entführt hat und damit durchgekommen ist, muss das das Größte für ihn gewesen sein. Schwer vorstellbar, dass er es nicht wieder tut. Schwer vorstellbar, dass er es nicht schon mal getan hat. Du musst noch mal mit den Detectives in San Diego sprechen. Finde heraus, ob es da unten irgendwelche offenen Fälle von Entführungen oder versuchten Entführungen gibt, die sich in irgendeiner Weise mit Ballencoa in Verbindung bringen lassen. Ich rufe ein paar Kumpel bei ViCAP an. Die
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