Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
zurück. Dabei tritt die Frage, wer denn nun hinter dem Übergriff steht, immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen arten die Versammlungen zur öffentlichen Abrechnung aus und zur Lieblingszielscheibe entwickelt sich allmählich Shirin. War ja klar.«
Vor Wut über diese Ungerechtigkeit hielt Sam inne, und ich hätte schwören können, dass die Temperatur im Raum
um einige Grad sank. Mühsam befreite ich meinen Arm unter der Decke. Als ich nach seiner Hand griff, zuckte er zusammen und seine Aura flammte auf, kühl und abweisend. Was gerade bei den Versammlungen der Schattenschwingen vor sich ging, setzte ihm unübersehbar zu. Ein feines Knistern breitete sich unter meiner Berührung aus. Fast befürchtete ich, gleich einen Stromschlag verpasst zu bekommen, doch so schnell gab ich nicht auf.
»Du bist nicht im Feindesland, du brauchst deine Abwehr also nicht hochzufahren.«
Für einen Moment flackerten seine selbst im Dämmerlicht schimmernden Augen unbeherrscht auf, doch dann entspannte er sich. »Es ist gar nicht einfach, aus diesem Dauerstress-Modus herauszukommen. Außerdem wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, ich wäre nicht enttäuscht. Die meisten von uns haben total verlernt, was Gemeinschaft bedeutet. Wir sind ein Haufen aus Eigenbrötlern, und das Einzige, worauf sich die Mehrheit einigen kann, ist, dass Shirin nicht über den Weg zu trauen ist. Dabei kann nicht einmal Juna Shirin mehr vorwerfen, als dass sie die Zügel bei mir zu sehr hat schleifen lassen. Dass Juna keinen Beweis zur Hand hat, hält sie natürlich nicht davon ab, unablässig Gift zu verspritzen, und langsam zeigt ihre Hetze Wirkung. Richtig zur Sache geht es dann wohl immer, wenn wir jungen Schwingen fortgeschickt werden, weil man über die alten Verstrickungen vor dem Krieg diskutiert, in denen Shirin ja eine ganz besondere Rolle gespielt hat. Komplette Zeitverschwendung! Niemand hat bisher eine Idee, wer uns angegriffen hat – und zwar keine einzige Schattenschwinge, ohne Ausnahme. Aber das ist offenbar niemandem mehr wichtig.«
Seine Machtlosigkeit in einer solchen Situation setzte Sam zu. Vor allem, da Shirin als seine Wächterin in diese
Lage geraten war, weil sie ihn entgegen den Regeln darin unterstützt hatte, in die Menschenwelt zurückzukehren. Meinetwegen, wie ich beklommen dachte. Und nun konnte er sich nicht revanchieren, weil seine Meinung als junge Schattenschwinge wenig zählte. Shirin mochte zwar schwer zu durchschauen sein, und nicht jede ihrer Entscheidungen hatte sich als richtig erwiesen, aber genau wie Sam hegte ich keinen Zweifel daran, dass sie nur das Beste für die Schattenschwingen und vor allem für ihren jüngsten Schützling hatte herausholen wollen.
»Denkst du, sie werden Shirin bestrafen?«
Bei der Vorstellung, zu welcher Art Strafen die Schattenschwingen imstande sein mochten, zog meine Brust sich angstvoll zusammen. Zu gut war mir noch in Erinnerung, wie rücksichtslos man bei der Versammlung mit Sam umgesprungen war. Besonders Asami mit der gezückten Klinge, mit der er ein Symbol in Sams Unterarm zu schneiden gedachte, stand mir noch lebendig vor Augen. Was für ein Volk auch immer die Schattenschwingen einst gewesen sein mochten, übrig geblieben war ein zersplitterter Haufen aus Einzelkämpfern, die der Last ihrer eigenen Geschichte kaum Stand hielten.
»Die Frage ist nicht sosehr, ob Shirin bestraft wird, sondern, wie hart die Strafe ausfallen wird.« In Sams Stimme schlich sich eine Härte ein, die mich aufhorchen ließ. Trotz allem, was geschehen war, liebte er die Sphäre und empfand ihre Bewohner als seine Familie. »Was mir allerdings mehr Sorge bereitet, ist Shirins Zustand. Als wäre sie unter einer Glocke gefangen. Es muss schon etwas sehr Krasses passieren, damit sie aus ihrer Apathie auftaucht. Ranuken weicht ihr quasi gar nicht mehr von der Seite, aber ich habe da meine Zweifel, ob sie ihn überhaupt bemerkt. Ihr Weggefährte Lorson hat sich frustriert zurückgezogen. Ich habe
bereits versucht, sie über unsere Aura zu erreichen. Obwohl das eigentlich nicht meine Art ist, habe ich sie regelrecht bedrängt. Aber das Einzige, was ich damit erreicht habe, war ein mentaler Aufprall, von dem mir immer noch die Ohren dröhnen. Sie ist wie in sich gefangen, ich komme einfach nicht zu ihr durch.«
»Das hört sich wirklich schlimm an. Vielleicht täte es Shirin gut, die Sphäre und den ganzen Druck eine Zeit lang hinter sich zu lassen.«
Ein warmes Lächeln breitete sich auf
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