Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
werden in dieser Welt, von der ich mich wie durch eine Nebelwand abgeschnitten fühlte. Meine Sinne flüsterten mir unentwegt zu, dass die Farben stumpf, die Gerüche schal und die Geräusche gedämpft waren im Vergleich zur Sphäre, die vor Leben pulsierte. Sogar der Wind auf meinem Gesicht fühlte sich unecht an. Vielleicht hing ich deshalb so an Mila, weil ihre Wirkung auf mich das Einzige war, mit dem es die Sphäre nicht aufnehmen konnte. In ihrer Gegenwart vergaß ich das Gefühl, ein Fremdkörper zu sein, sondern war einfach nur da und alles war perfekt. So wie eben. Echter fühlte ich mich auch in der Sphäre nicht.
Unwillkürlich blickte ich in den Abendhimmel. Dunkles Blau und rasch ziehende Wolken, ein Himmel, wie gemacht für einen Nachtflug.
Mit einem Ruck gab ich die Türklinke frei und schnappte mir das klapprige Fahrrad, das ich mir von meinem ersten Wochenlohn gekauft hatte. Kaum schob ich es auf die Straße, wurde einige Meter hinter mir ein Wagen angelassen.
Ich kannte dieses Motorengeräusch mittlerweile recht gut und spielte mit dem Gedanken, es auf eine kleine Wettfahrt ankommen zu lassen. Ich hatte schon ein paar Rennen gewonnen, was mit diesem Schrottbike gegen einen Kleinwagen eigentlich unmöglich sein sollte. Allerdings war ich nicht nur ein ziemlich halsbrecherischer Fahrer, sondern mir auch nicht zu schade, notfalls die eine oder andere Abkürzung zu nehmen, selbst wenn ich dabei ein Blumenbeet in Mitleidenschaft zog. Hauptsache, ich schüttelte meinen Verfolger ab. Heute Abend entschied ich mich jedoch gegen die Flucht, denn leider hatte ich auch die Erfahrung gemacht, dass ich den Wagen zwar abhängen konnte, sein Fahrer mich früher oder später trotzdem stellte. St. Martin war eben ziemlich übersichtlich. Auf die scheinheilig gestellte Frage dieses speziellen Autofahrers, ob ich denn nicht an meinem gerade erst wieder aufgenommenen Leben hinge und ob man sich angesichts meiner verrückten Fahrweise wohl Sorgen um meinen Geisteszustand machen musste, konnte ich locker verzichten.
Also setzte ich mich aufs Rad, fuhr im normalen Tempo los und hielt die Geschwindigkeit auch dann, als der staubige Renault an Höhe aufschloss. Ich hörte, wie die Fensterscheibe sich senkte und Radiogedudel samt Zigarettenrauchwolke ins Freie drängten. Mühsam unterdrückte ich das Verlangen, den Fahrer anzubrüllen oder ihm durchs geöffnete Fenster kräftig eine zu langen. Verdient hätte es Joffe Kraachten, dieser Möchtegernjournalist, allemal.
»Einen schönen Abend gehabt, Sam? Ist garantiert angenehm bei den Levanders, so gutbürgerlich, ganz anders als deine alte Heimat im Sozialbau. Sieht ja echt nett aus, deine Ersatzfamilie, obwohl ich ehrlich erstaunt bin, dass jemand wie Daniel Levander einen Burschen mit so einem üblen Familienhintergrund willkommen heißt. Ich würde mir als Vater ja ein paar Gedanken darüber machen, vor allem wenn es um mein kleines Töchterchen geht. Immerhin hat dein Vater gern einmal zugeschlagen, und so was färbt ja bekanntlich ab. Vermutlich sind die so verpeilt, dass sie keine Ahnung haben, was ihnen mit dir noch alles blüht. Die Levanders leben halt in ihrer Spießerwelt. Wundert mich eh, dass du es bei denen aushältst, wo du doch mehr der freiheitsliebende Individualist bist und der Levander als dominante Persönlichkeit gilt. Uniprof halt, die können nicht anders, ist ja allgemein bekannt.«
Über diese Aneinanderreihung von aus der Luft gegriffenen Behauptungen schüttelte ich nur den Kopf. Kraachtens Provokationen drehten sich immerzu um denselben Müll, mit dem er mich aus der Reserve locken wollte. Ich begann zu pfeifen, was mit angespanntem Kiefer gar nicht so leicht ist.
»Das sind keine leeren Behauptungen, was ich da gerade gesagt habe, sondern das Ergebnis meiner Recherche!«, verteidigte Kraachten sich lautstark, offenbar aufgebracht über mein kleines Pfeifkonzert. »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Daniel Levander ziemlich streng ist und einen gern von oben herab behandelt. Das liegt vermutlich am Professorentitel. Und warum sollte er dich als zukünftigen Schwiegersohn seine Überheblichkeit nicht auch spüren lassen, Sam? Ich darf bestimmt Sam zu dir sagen, so nennen dich deine Freunde doch?«
Es kostete mich enorme Überwindung, weiterhin beharrlich geradeaus zu blicken. Mit dem Pfeifen war es jetzt allerdings vorbei, stattdessen knirschte ich mit den Zähnen.
»Habe ich da vielleicht etwas Falsches gesagt? War das Mittagessen bei
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