Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Samuel ein Studium aufzudrängen, sondern ihm dabei zu helfen, seine Zukunftspläne seiner Begabung entsprechend auszurichten. Dich haben wir schließlich auch mit der Nase auf das Haus der Jugend gestoßen, worüber du im Nachhinein ja ziemlich glücklich zu sein scheinst. Dir liegt die Arbeit mit Kindern, die genau so viel Unsinn im Kopf haben wie du, und Samuel liegen halt die Naturwissenschaften ungewöhnlich gut. Man könnte fast glauben, dass Meerwasser durch seine Adern fließt. Die perfekte Grundlage für ein Studium hier in St. Martin. Dafür kann er doch ruhig noch ein paar Monate die Schulbank drücken.«
Wie auf Kommando verdrehte Rufus die Augen. »So ein Quark. Los, sag’s ihm, Kumpel. Die Schule ist für uns beide vorbei, game over . Falls es dir bei der Surfschule zu langweilig wird, kannst du mich ja im Haus der Jugend besuchen kommen. Bei uns ist wenigstens was los, im Gegenteil zu diesen Weißkitteln, die ihr Leben damit verbringen, alle ganz aufgeregt um eine Probe mit grünem Schleim herumzustehen.«
Daniel schnaufte missbilligend durch die Nase, mehr nicht, denn er hatte es längst aufgegeben, auf Rufus’ Kommentare zu kontern oder ihn gar vom Wert seiner Arbeit als Meeresbiologe zu überzeugen. »Samuel, was sagst du denn nun dazu? Du erkennst die Notwendigkeit des Abiturs doch wohl. Du bist schließlich ein kluger Kerl.«
Die beiden Levander-Männer sahen ihn erwartungsvoll an, jeder der festen Überzeugung, Sam könnte gar nicht anders, als ihrer jeweiligen Meinung zuzustimmen. Anstelle der erhofften Antwort lehnte Sam sich erst einmal zurück und schaute zu mir hinüber.
Ich liebte diesen Blick. Als gäbe es auf der Welt nur eins für ihn, das zählte, und das war ich. Ein Schauer lief mir über den Rücken, nicht nur, weil das für mich immer noch so überwältigend war, sondern auch, weil ich bei seinem Anblick genau dasselbe empfand. Als hätte ich meine Hände so weit geschlossen, bis nur noch Samuel Bristol zu sehen und der Rest ausgeblendet war.
Sam legte den Kopf schief, dann formte er mit den Lippen lautlose Worte. Ich tippte auf »Was machst du denn da?«, obwohl ich »Lass uns irgendwo hingehen, wo wir allein sind und ich dir beweisen kann, dass du das Wichtigste für mich bist« eindeutig bevorzugt hätte.
Mit einem Stöhnen drehte Rufus sich um und warf die Broschüre nach mir. »Herrgott, Mila! Das ist eine wichtige Kiste, also hör auf, ihn abzulenken.«
»Dazu müsste sie sich schon in Luft auflösen«, erklärte Sam mit einem Grinsen, um meinem Vater sofort einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen.
»Ist schon gut.« Daniel, der unsere Beziehung akzeptierte, seitdem Sam mich vor einer Woche nach einem Bad im Meer klitschnass zurückgebracht hatte, suchte angesichts von so viel Reue seinen Vorteil. »Wenn du wieder zur Schule gehen würdest, könntest du übrigens noch mehr Zeit mit Mila verbringen. Denk mal nach: die Pausen, die sich überschneidenden Freistunden …«
»Fantastische Idee! Für die beiden würde der Schulalltag nur noch aus Freistunden bestehen«, fügte Rufus mürrisch hinzu. »Wahlweise in der Sporthalle hinter den aufgestapelten Turnmatten oder in der Dunkelkammer des Kunsttrakts.«
»Deine alten Lieblingsplätze, was, Rufus?« Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, meinen Beobachtungsposten aufzugeben, um meinem Bruder eine Kopfnuss zu verpassen.
Dann stand jedoch Sam vom Sofa auf, um die am Boden liegende Broschüre aufzuheben. Die Eleganz, mit der er diese simple Bewegung ausführte, lenkte nicht nur mich ab, sondern auch die beiden Levander-Männer. Seit Sam seine Aura zu einer Waffe geformt hatte, um Nikolai zu richten, war von seinem einstigen Strahlenkranz nicht mehr als ein Glimmen geblieben. Es sah allerdings ganz danach aus, als ob es keineswegs seiner überirdischen Ausstrahlung bedurfte, damit er die Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Anmut reichte dafür vollkommen aus.
Niemand konnte sich Samuel Bristols Anziehungskraft entziehen, daran hatte sich nichts geändert.
Während wir alle Sam anstarrten, als wäre er eine Erscheinung und kein achtzehnjähriger Junge, der gerade ein paar Seiten Papier aufgehoben hatte, sagte er: »Ist gut möglich, dass Meeresbiologie das Richtige für mich ist, Herr Levander. Irgendwann. Vorläufig reicht es mir jedoch, bei der Surfschule zu jobben, so wie ich es mit Toni vereinbart habe, den ich auf keinen Fall hängen lassen werde. Ich schulde ihm nämlich etwas dafür, dass er mir, ohne eine Frage
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