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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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den er von seinem Vater geerbt hatte, schnitt in seine Haut.
    Der Ring rief jäh eine Erinnerung in ihm wach. Obwohl die Ereignisse beinahe ein halbes Jahrhundert zurücklagen, waren die Bilder so scharf und klar, als seien sie erst gestern entstanden.
    Berlin 1940. Er war dreizehn gewesen in jenem Kriegssommer, ein warmer Sommer, wie er noch wußte, und eine Zeit, in der überall noch frohgemut vom Endsieg gesprochen wurde, und die deutschen Truppen von allen Fronten berauschende Erfolge vermelden konnten. Andreas saß oft vor dem Radio, dem Volksempfänger, und lauschte Joseph Goebbels’ scharfer Stimme, mit der er die Herrschaft der Deutschen über alle Welt propagierte. Andreas mochte Goebbels nicht, und Adolf Hitler auch nicht. Natürlich hatte er das nie laut geäußert, zumal er nicht genau sagen konnte, worauf sich seine Abneigung gründete. Schließlich veranstaltete die Partei tolle Sachen, gerade für die Jugend. Andreas war im Jungvolk, und da gab es an jedem Wochenende Wanderungen und Zelten, Lagerfeuer, spannende Spiele und Kameradschaft und Tapferkeit. Alles in allem wunderbare Dinge für einen dreizehnjährigen Jungen, aber dahinter stand mehr als einfach nur Spiel und Spaß, und das flößte Andreas oft ein leises Grauen ein. Er war ein aufgewecktes und sehr sensibles Kind, und er witterte eine ungreifbare, unnennbare Gefahr. In jenem Sommer also, genauer gesagt, am 25. Mai, ereigneten sich zwei Dinge: Die eine Angelegenheit betraf Christine, Andreas’ Spielgefährtin, sie war Andreas’ beste Freundin, Kameradin,
Vertraute, Mitwisserin aller seiner Seelengeheimnisse. Sie hatten Indianer zusammen gespielt und König und Prinzessin, aber jetzt saßen sie oft auch nur einfach stundenlang zusammen und redeten, besonders dann, wenn Andreas schwermütig und traurig war, wenn kein Mensch ihn verstand außer Christine. Sie war die Stärkere von beiden, aber an diesem Tag erschien sie mit verweinten Augen und aufgelösten Zöpfen. »Sie haben meinen Vater verhaftet, Andreas! Sie haben meinen Vater verhaftet!«
    »Wer?«
    »Die Gestapo. Heute in aller Frühe. Sie haben unser ganzes Haus verwüstet und ihn dann weggezerrt. Andreas, was soll ich tun?«
    »Warum haben sie ihn verhaftet, Christine?«
    Christine fing wieder an zu schluchzen. »Weil er gegen Adolf Hitler ist. Er sagt, Hitler ist ein Verbrecher, der uns alle ins Unglück stürzt. Und jemand hat ihn angezeigt deswegen... Andreas, ich habe solche Angst.«
    Er legte den Arm um sie. »Ich bin bei dir, Christine. Hab keine Angst.« Aber er konnte ihr nicht helfen, das wußte er. Niemand konnte etwas ausrichten gegen die Gestapo. Sie war allmächtig. Man munkelte von Folterkellern, furchtbaren Gefängnissen, Lagern, von Menschen, die nie wiederkehrten. Er sagte: »Sie werden ihn vielleicht nur kurz verhören und dann wieder gehen lassen.« Aber er glaubte es selber nicht. Und Christine auch nicht. Mit einem herzzerreißenden Ausdruck von Trostlosigkeit in den Augen sagte sie, sie sei überzeugt, ihr Vater werde niemals zurückkommen. Dann schlich sie nach Hause, denn sie mußte sich um ihre Mutter kümmern, die wie erstarrt in ihrer Wohnung saß und nicht faßte, was passiert war.
    Wie sich später herausstellte, kam Christines Vater tatsächlich nicht zurück; seine Spur ließ sich in eines der berüchtigten Todeslager verfolgen und verlor sich dort. Und es schien wie ein merkwürdiges Spiel des Schicksals, daß Andreas am selben Tag erfuhr, daß sein Vater in Frankreich gefallen war.
    Tante Gudrun sagte es ihm, als er abends nach Hause kam. Sie tat es auf die ihr eigene, unsensible, ungeschickte Art. Erst
druckste sie ewig lange herum, wich aus und redete etwas von Tapferkeit und deutschem Heldentum (Tante Gudrun war eine gute Patriotin!), und als Andreas schon ganz aufgelöst war und lauter schreckliche Dinge vermutete, sagte sie unvermittelt: »Ja, also, da ist ein Telegramm gekommen heute. Dein Vater ist gefallen, Andreas. Man kann nichts mehr tun.« Dann drehte sie sich wieder zu ihrem Herd um und rührte verbissen in einem großen Kochtopf, unfähig, das blasse, erschreckte Kind, das fassungslos hinter ihr stand, auch nur anzusehen, geschweige denn, es in die Arme zu nehmen oder ihm wenigstens über die Haare zu streichen.
    Alles, was Andreas in diesen Minuten denken konnte, war: Nun habe ich niemanden mehr. Niemanden auf der Welt.
    Andreas’ Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und seinen Vater, den Oberstleutnant Bredow, hatte die

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