SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
die Vorstellung zu erregen begann.
Rieke
Die erste Ehe von Rieke war eine Farce gewesen, ein schlechter Witz, den sie sich hätte sparen können. Das wenigstens dachte sie später darüber.
Aber das Leben hatte eben so und nicht anders seinen Lauf genommen. Die Entscheidungen waren im jeweiligen Moment die richtigen gewesen. Es gab auch keine anderen. Im Grunde hatte sie genau diese Vergangenheit zu dem Menschen gemacht, der sie heute war.
Vor diesem Hintergrund war auch ihre zweite Ehe eine notwendige Entwicklung auf ihrem Weg gewesen.
Es hatte damals vielversprechend begonnen mit Detlef und endete nach achtzehn Jahren mit der Erkenntnis, dass Geld nicht alles ist, was das Leben ausmacht. Wo die Nähe und Geborgenheit fehlen oder der feste Wille zur Gemeinsamkeit auf einer Seite nicht vorhanden ist, stellt sich eine Leere ein, die durch nichts zu überbrücken ist.
Sie musste sich hinterher fragen, ob er sie überhaupt jemals geliebt hatte oder ob er nur ein Bild von ihr, ein Idealbild, im Kopf gehabt hatte, dem sie später nie genügen konnte.
Die junge Ehe war noch glücklich gewesen. Die Verantwortung war klein, die beide füreinander übernommen hatten. Im Grunde war jeder noch sein eigener Herr, hatte selbstverdientes Geld und war nicht abhängig vom anderen. Als das erste Kind geboren wurde, schien beider Glück perfekt zu sein. Ein wonniger Sohn war da zur Welt gekommen, der bald durchschlief und auch sonst nur Freude machte.
Der Zufall und eine kleine Zyklusverschiebung machten es möglich, dass sich schon sehr bald eine zweite Schwangerschaft einstellte. Jetzt wurden die Tage anstrengender, auch weil Rieke sich schonen musste. Nur mit medizinischen Hilfsmitteln gelang es, die Tochter bis zum Schluss im Bauch zu behalten. Und auch die Geburt wollte nicht so einfach vonstatten gehen. Die Kleine lag falsch herum. So war es notwendig, sie mittels Kaiserschnitt auf die Welt zu holen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Detlef bereits versetzen lassen. Rieke blieb mit Säugling und Kleinkind allein zurück. Im Nachhinein wusste sie nicht mehr, wie sie es geschafft hatte, vierundzwanzig Stunden am Tag präsent zu sein. Während sie die Tochter stillte, fütterte sie gleichzeitig ihren einjährigen Sohn und manchmal aß sie dabei selbst ein paar Bissen mit. Die Nächte waren teilweise durchwacht oder unruhig.
Als ein halbes Jahr nach Lenas Geburt die Aussicht bestand, dass sie wieder zusammenziehen konnten, war Rieke nur noch ein Schatten ihrer selbst. Detlef hatte sich unterdessen an ein gemütliches Singledasein gewöhnt. Und so blieb das Verhältnis der beiden auch, Rieke sorgte sich um Detlef und die Kinder – er kümmerte sich um sich.
Schon während der Münchener Zeit hatte sich Rieke gelegentlich überlegt, Detlef mit den Kindern zu verlassen und wieder ins Weserbergland zu ziehen. Dort lebte ihre Familie noch. Aber sie war kein Mensch, der ein einmal geleistetes Versprechen schnell brach oder die Verantwortung wegschob. Sie fühlte sich verantwortlich für ihren Detlef, auch wenn er sie kaum beachtete und während seiner Promotion keine Zeit für die Familie aufbringen konnte. Später, dachte sie, später würde er für sie alle da sein. Das war ihr Ziel. Ein Später in geborgener Gemeinsamkeit, dafür würde sie das Jetzt in Kauf nehmen.
Allein das Später kam nie. Es kam ein Danach und weitere Sprossen auf der Karriereleiter, die gemeistert werden wollten. Irgendwann erkannte sie, dass weder sie noch die Kinder jemals eine wesentliche Rolle im Leben ihres Mannes spielen würden. Das war der Zeitpunkt der drohenden Resignation. Doch sie sträubte sich noch, alles hinzuwerfen und neu für sich und die Kinder zu beginnen. Was würde aus dem gemeinsamen Haus werden? Wie würden es die Kinder verkraften, wenn ihr Vater nun gar nicht mehr kam? Konnte sie nach fünfzehn Jahren wieder Arbeit finden, um ihre kleine Familie zu ernähren?
Die Hürde, einen völlig neuen Lebensweg zu gehen, schien zu groß zu sein. Zu viele Unwägbarkeiten schreckten sie ab.
Ganze vier Jahre brauchte sie schließlich, bis es nicht mehr auszuhalten war, bis ihr Innerstes völlig leer war, weil er ihrer Seele nichts gab oder geben konnte. Was er für Liebe hielt, war eine funktionierende Gewohnheit geworden, die ihm wirklich fehlte, als Rieke sich von ihm trennte. Er litt drei Wochen lang, bis er bei seiner neuen Freundin einzog.
Rieke war wund und empfänglich für die geringste Art von Zuwendung. Aus ihr schrie
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