Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Kneipe zum Mob wird, sollte man sich seiner Grenzen bewusst sein. Körperlich einschreiten musste ich dennoch, beim unauffälligen Verpissen bemerkte ich einen circa siebzigjährigen militanten Rentner, der einen Barhocker umgedreht hatte, um ihn einem Polizisten ins Kreuz zu schlagen. Das konnte ich nicht tatenlos geschehen lassen, ich nahm all meinen Mut zusammen und trat dem Mann von hinten ins Kreuz. Samt Hocker brach der alte Recke in sich zusammen. Gewalt gegen Senioren verabscheue ich, aber dieser zunächst unschuldig scheinende Doppelherzkämpfer hatte es selbst provoziert. Ich kann gar nicht mehr beschreiben, wie es genau geschah, jedenfalls waren wir alle, d. h. Jupp, die Polizisten, Peter und ich, plötzlich auf dem Bürgersteig vor der Kneipe und somit dem meuchelnden Mob entkommen. Die Fahrt zum Krankenhaus war unspektakulär. Jupp lag, die Arme mit Handschellen auf dem Rücken fixiert, seitlich auf der Trage. Zunächst strampelte er noch wütend mit den Beinen, doch das beruhigende Fahrgeräusch und die dämpfende Wirkung des Alkohols gewannen langsam die Oberhand. Sie werden es nicht glauben, aber nach circa fünf Minuten Fahrzeit schlief Jupp friedlich auf der Trage, ja er schnarchte sogar leise. Der Polizist, der den Transport begleitete, schüttelte ungläubig den Kopf: Eben noch eine um sich schlagende Bestie, und jetzt ein friedlich schnarchendes Lämmchen. Im Krankenhaus angekommen, wurde Jupp mit vereinten Kräften aus dem Rettungswagen geladen und samt Trage in die Ambulanz geschoben. Uns begrüßte Dr. Aramidis, eine grobschlächtige griechische Chirurgin, die erst eine subtotale Amputation von Gliedmaßen als ernstzunehmende Verletzung einstuft. »Was bringt ihr mir Schönes? Ah, den Verlierer! Von wem hat der Kirmesboxer die Platzwunde? Fahrt ihn erst mal zum Röntgen. Bei uns zu Hause näht so was die Putzfrau! Warum trägt der Mann Handschellen?«, schwadronierte sie mit unüberhörbarem griechischen Akzent. »Der Herr war unkooperativ und gewalttätig«, erklärte einer der Polizeibeamten die Handschellen. »Und jetzt schläft er und sabbert die Trage voll, machen Sie bitte die Dinger ab, die stören nur beim Röntgen«, gab Dr. Aramidis zurück. Beim Umlagern auf den Röntgentisch wurde Jupp wach. Alles in allem ließ er die Prozedur aber relativ friedlich über sich ergehen. Interessanter wurde es beim Nähen. Unterstützt durch den schwulsten Pfleger, den das deutsche Gesundheitswesen zu bieten hat, begannen die vorbereitenden Maßnahmen. Was ist eigentlich der korrekte Superlativ von schwul? Darüber hat der Autor an dieser Stelle lange nachgedacht. Wie dem auch sei, die Desinfektion und Rasur der Wundränder waren ein Schauspiel. Die Desinfektionslösung brannte wie der Teufel, Jupp jaulte, als würde er gerade von dem rosa Krankenhausteekännchen defloriert. Wenn alles vorbei ist, wird er ne Mütze brauchen«, kommentierte Peter die großzügige Rasur, die Jupp rund um die Wunde verpasst bekam. Ausgerüstet mit sterilen Handschuhen und Nadel und Faden machte sich Dr. Aramidis nun ans Werk. Da Jupp ordentlich Alkohol intus hatte, wurde bewusst auf eine örtliche Betäubung verzichtet. Bei jedem Stich verzog Jupp leidend das Gesicht und jammerte. »Erst den wilden Max machen, und wenn es mal zwickt, quieken wie ein Schulmädchen beim ersten Mal, das hab ich gern!«, frotzelte Frau Dr. süffisant. »So, fertig, nicht schön, aber selten!« Mit diesen Worten beendete die Chirurgin ihre Wundversorgung. Insgesamt waren 19 Stiche nötig, um die klaffende Wunde zu schließen. Die Röntgenbilder trafen in der Ambulanz ein und wurden begutachtet. Jupp hatte Glück gehabt, es war keine Fraktur zu erkennen. »Gut, nix gebrochen! Trotzdem werden Sie wegen Verdacht auf Gehirnerschütterung diese Nacht hier im Krankenhaus verbringen!«, entschied Dr. Aramidis. Diese Androhung von latenter Freiheitsberaubung ließ Jupps Kämpferherz erneut erwachen, lallend brachte er hervor: »Ihr könnt misch mal am Arsch lecken ... isch muss Bier trinken und zu Hause schlafen. Um 06:00 Uhr klingelt der Taxi, isch muss, isch hab keine Zeit für euren Kindergarten!« Dr. Aramidis schaute ungerührt, dachte einen Moment nach und sagte, an Jupp gewandt: »Gut, jeder ist seines Glückes Schmied - aber nicht jeder Schmied hat Glück. Ein Krankenhaus ist kein Gefängnis, wenn Sie nicht bleiben wollen, werde ich Sie nicht zwingen - unter zwei Voraussetzungen. Erstens, Sie liefern mir gleich eine zufriedenstellende
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