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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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liegt ein verdammter Sprengkörper, in meinem Haus! Ich bin fix und fertig, und Donut, das irre kleine Arschloch, schmeißt sich auf das verfluchte Ding und will es rausziehen. Wenn ich mir da nicht in die Hose geschissen hab, wann dann? Dieser irre kleine Wichser! Ich ziehe ihn zurück, und er beißt mir in den Arm. Ich brülle und hau ihm eine in die Fresse. Ich schreie: Alle raus hier! Du jagst uns alle in die Luft!«
    Steamboat weint auch. Ich sehe, dass er sieht, dass ich ihn weinen sehe, und er wendet sich ab und hustet. Er versetzt der Leiche eines Tschetnik einen Tritt, damit sie sich umdreht und er das Gesicht sehen kann. Der Arsch sieht aus wie wir, nur sein Gesicht ist fleckig, er hat ein weinrotes Loch im Wangenknochen, das Auge darüber ist angeschwollen und geschlossen.
    »Und während ich alle da rausschiebe, entfährt mir ein gottverdammt , und die Oma flippt aus. Beschmutze nicht den Namen des Herrn! Hör auf zu fluchen! Gott ist das egal, sage ich ihr. Es ist bloß ein Wort. Aber sie will nichts davon hören.«
    Dann ist Steamboats Hinterkopf ein roter Fleck. Er fällt. Ich will zu ihm, instinktiv, kraftlos, und jemand schreit:
    »Hinterhalt! Rückzug!«
    Und ich bin weg.

    Dann träumte ich, dass ich im Albatros rumhing, nur dass der Laden größer war und keine Bühne hatte, er sah eher aus wie dieser Club, in dem ich öfter mal war. Die Böden waren aus schmutzigem Granit, die Wände pechschwarz. Ich stand da und schaute mir die Leute an, die reinkamen, und gleichzeitig konnte ich mich selbst von oben sehen, wie durch eine Kamera an derDecke. Ich stand also da und schaute aus meinem Schädel raus, und zugleich schaute ich mir dabei zu, wie ich aus meinem Schädel rausschaute, und dann sah ich, wie ich mich in eine Ecke zurückzog, wie ich quer durch einen Raum voll mit tanzenden Menschen ging, und das Gefühl psychischer Grenzenlosigkeit überwältigte mich. Zu meiner Rechten öffnete sich ein Vorhang, und dahinter kam ein DJ in einer Glaskabine wie bei Radiosendern zum Vorschein, und der DJ war ein alter Bekannter, er legte Vinylplatten auf, ich weiß nicht mehr, welche, und da waren Hare Krishnas mit ihren Trommeln und sangen. Dann verstummte die Musik, und der Muezzin tauchte hinter der Scheibe auf. Der DJ setzte ihm Kopfhörer auf und gab ihm ein Mikrophon und nickte. Der Muezzin fing an, auf Arabisch zu beten, und ich verstand nicht, was die Worte bedeuteten, aber sie erfüllten mich, und dann hörte alles auf und ich schwebte hinauf zur Decke, zu den Lampen, und meine Brust schwoll vor unbegreiflicher Freude, und reines Licht floss aus mir heraus, und etwas in mir sagte immer wieder Gott ist hier Gott ist hier Gott ist hier Gott ist hier Gott ist hier Gott ist hier Gott ist hier , und vielleicht war es meine eigene Stimme, Gott ist hier , und ich sah die Ahnungslosen, die in dem Club tanzten und gleichzeitig mein eigenes starrendes, verzerrtes Gesicht, die Augen aufgerissen vor lauter Gott ist hier und dann
    das Dämmerlicht des Krankenzimmers und die Stimme, die immer wieder sagte, Gott ist hier , und es gab keinen Übergang vom Schlaf in den Wachzustand, kein Öffnen der Augen, kein Begreifen, dass sich das eine Reich vom anderen unterschied, nur die stete Stimme, die sagte, Gott ist hier , bisMustafa es laut in seinen Gedanken sagte, Gott ist hier , und der Mann gegenüber riss an den Riemen und zog entsetzliche Affengrimassen, Sehnen traten an seinem Hals hervor, und er heiser zischte:
    »Fickt ihn! Halt die Fresse! Fickt ihn zu Scherben!«
    Am Abend, lange nach Ende der Besuchszeit, schlurfte eine kleine Frau ins Zimmer. Sie hatte die Körperhaltung einer wiederbelebten Leiche, steif und benebelt, ihre rechte Hand umklammerte eine rechteckige Handtasche. Ihre Kleidung wirkte abgetragen, die braune Hose spannte über den Knien. Sie hielt an der Tür inne, als müssten sich ihre Augen erst an das Licht gewöhnen. Eine einzelne summende Neonröhre an der Decke ließ die Schatten puckern und verlieh den Dingen selbst, den Gesichtern, den Wänden, den Möbeln, das Aussehen glatter Knochen.
    Mustafa schauderte, als sie ihn, endlich an die Beleuchtung gewöhnt, mit ihrem Blick bannte. Ihr Gesicht zerfloss zu einer Miene der Besorgnis, und die Tränen, die in ihre Augen traten, definierten diese, ließen sie hervortreten, unvermeidbare Orientierungspunkte. Sie kam näher, ihr Blick blieb unverwandt auf ihn gerichtet, dann stellte sie ihre Handtasche auf den Stuhl neben dem Bett und legte ihre

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