Scherbengericht: Roman (German Edition)
Tschapperl, du hast ja keine Ahnung, wie nötig das sein kann. Außerdem: Sind denn die Ringe für die Ewigkeit bestimmt? Der arme Quique hat mir gottlob das Gold mit einer Kneifzange aufzwicken können.«
Katha betrachtete darauf ihre eigenen langen und feingliedrigen Finger, an denen sechs Silberringe von modernstem Schmuckdesign und verschiedener Größe steckten. Die Hände einer Prinzessin. Sie bog die Finger fast so weit zurück wie die Tänzerinnen auf Bali, was die Oma irritierte: »Na hör doch auf damit, Kind! Da graut einem ja.« Katha wechselte ihr gelenkiges Fingerspiel und fuhr mit beiden Händen, wie auf einer Tastatur, über die Tischplatte. »Ich spiele Satie«, sagte sie leise, »wie Mama, weißt du noch, Gabo?«
Clementine nahm das nicht zur Kenntnis. »Kinder, das war doch eben noch ein so schönes Geburtstagsfest gewesen, und sicherlich mein letztes. Und was habe ich jetzt? Nix. Ach, wisst ihr, es ist schon eine Weisheit der Natur, dass sie uns das Sterben nicht mehr schlimm erscheinen lässt, wenn man so alt und schwach wird wie ich. Und wenn man dann noch etwas wirklich Schönes erleben kann, wie vorhin, als alle noch da waren, sollte es am besten gleich der endgültige Abschied sein.«
Sofort umarmte Katha wieder die Greisin, deren spitze Schultern sich versteiften und beinahe zurückstachen. »Oma, wir sind doch bei dir, Gabo und ich. Sei froh, dass du nicht Alzheimer hast. Weißt du, ich habe da Fälle erlebt …«
Clementine schüttelte Katha ab. »Was fällt dir ein, mein Kind! Pass auf, wir Kohlgrubers sind ein reiner, unverdorbener Menschenschlag, da gab es, so weit ich das zurückverfolgen kann, keine Dodel, keine Nieten, keine Hirnkranken – nur kerngesunde unvermischte Menschen aus Amstetten, aus Bisamberg, aus Langenzersdorf … Ja, in Polen vielleicht …«
Aber Clementine unterbrach sich selbst; sie hatte wieder den jungen Lagler hinter dem Buschwerk bemerkt und befahl ihn an den Tisch – er kam zögernd, nach allen Seiten spähend, tatsächlich wie ein geprügelter und streunender Hund auf der Suche nach Abfällen.
»Komm nur her, du Hungerleider, komm zu dem verlassenen Geburtstagskind! Hier hast du noch eine ausgewachsene Portion von meiner Torte, sie wartet schon auf dich.«
Quique trat zu den dreien unter der Linde, aber setzen wollte er sich nicht.
»Iss nur, lang nur hin, Bub!«, ermunterte ihn Clementine. »Solche Mühe macht sich heute kein Konditor mehr, nur deine Mutter, dieses brave, schuftende Herz. Kein Mensch wird hier noch einen Bissen holen.«
Während Quique mit heftigen Hand- und Kopfbewegungen die Tortenportion in sich hineinschlang, schielte er vor allem zu Gabriel hin. Dann fragte er diesen stockend, ob das Paragleiten schwer zu erlernen sei. Das sei es überhaupt nicht, beruhigte ihn Gabriel, und in Enzo Cirigliano könne er hier einen guten Fluglehrer finden. Er könne es ja außerhalb der Saison lernen, dann sei es billiger; die Ausrüstung solle er sich einfach mieten. Aber wenn er einmal den Flugschein gemacht habe, dann könne er sich nach einem gebrauchten Gleitschirm nebst Zubehör im Internet umsehen. Da gebe es immer wieder sehr günstige Angebote.
»Herrgott doch … Fritz und Mausi, wo sind denn die geblieben?« Jetzt erst fielen Clementine die Ciriglianos ein. »Wie habe ich das nur übersehen können. Dieses Altwerden! Die haben mich schon von Anfang an im Stich gelassen. Ich hatte ja die ganze Zeit über so ein Gefühl: Da fehlt jemand. Und haben sich nicht einmal bei mir entschuldigt! Deine Mutter hat mir auch nichts von ihnen gesagt, Quique. Die hätten mich nicht verlassen, die säßen noch am Tisch. Aber andererseits, Fritz ist nach seinem Schlaganfall sowieso ein schwer erträglicher Mensch geworden, kann kaum noch ein Wort verständlich hervorbringen, wahrscheinlich kann er auch nicht mehr richtig denken. Und seine Mausi macht das alles mit, unterwürfig, wie sie ihr ganzes Leben gewesen ist. Ist es nicht so, Gabriel? Du kennst sie doch auch, diese halben Italiener. Ja, alle haben mich verlassen, nach und nach, auch Hedwig, und natürlich Schorsch, bis mir nur mehr die Olga bleibt. Gestern hat sie mir endlich klargemacht, dass Schorsch ein Drückeberger war.«
Weder Gabriel noch Katha waren besonders interessiert an der sicherlich nicht ganz ernst gemeinten Wehklage. Sie wussten von Hedwig Holzapfel und Olga Rebikoff, wer aber war jetzt dieser Schorsch? Ehe Katha nach dem von der verstorbenen Opernsängerin abschätzig
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