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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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schlagen rhythmisch, wenn auch kaum hörbar, die Handflächen zusammen. Katha hat ihre Ärmchen um seine Stirn geschlungen. Sie beugt sich herunter, flüstert ihm ins Ohr: »Gelt, Pa, die Zigeuner sind doch lieb.« Nur Glücksgefühl, Lebensglanz, leuchtende Zukunft lag in dieser Erinnerung.
    Martin nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas. Waren die Saurier Warmblüter gewesen? »Nun sind wir endlich aufgebrochen«, hörte er sich laut denken. Er war todmüde, schloss die Augen, und vor ihm erstreckten sich in die Nacht hinein und ineinander fließend all die Fahrbahnen dieses langen Tages, wie von Scheinwerfern aus der Finsternis gerissen. »Katha und ich, wo rollen wir hin?« In ein neues Jahrhundert, in das dritte Jahrtausend, zu den Walen, zur Gedenkstätte der Lady Di, zu den Mapuches und zum neunzigsten Geburtstag der Oma, die immer noch seine Mutter war. Ein volles Programm.
    Katha. Schon in der ersten Sitzung bei Dr. Elias Königsberg hatte er herausgehört, dass im Grunde sie es war, die hinter seinen Fragen und Zweifeln steckte. Rücksichtslos und ganz gegen seine Art hatte er sich ausgeschüttet, in das zuhörende Gesicht des alten Psychiaters hinein – und jetzt war ihm, als hätte am Ende der maßlosen Fahrt durch die Pampas dessen zerklüftete Physiognomie schon wieder auf ihn gewartet. Ja, er musste Katha dankbar sein! Aber auch Gabriel. Dankbar, dass sie ihm nach dem Tod Judiths das einfache Weitertrotten unerträglich gemacht hatten.
    Mitten im besänftigenden Klavierspiel fielen Martin wieder die Mapuche ein, auf die er morgen treffen sollte. »Mon cher Satie, es muss, es wird mein letzter Auftritt sein!«, schwor er mit erhobenem Glas. »Ich werde diesen Job bereits wie im Rückblick ausführen, sozusagen postum, post mortem.« Und, nun an die imaginäre Gemeinde des morgigen Tages gewandt: »Das sagt euch ein Minderheitenschützer der Vereinten Nationen, der sich nichts mehr vormacht. Euch, fernen Nachfahren des patagonischen Urvolks, Erben der Kaziken und Pferdediebe Namuncurá und Calfucurá, habe ich immer nach dem Mund geredet, euch in euren absurden Hoffnungen bestärkt, all das offizielle Geseire nachgeplappert. Allein von der Sprache bin ich mittlerweile dermaßen saturiert, dass ich eine geheime, hundsgemeine Abneigung dagegen entwickelt habe, meine kostbare Zeit und schwindende Energie weiterhin an eure schäbigen Interessen zu verschwenden!« Hierauf noch ein Schluck.
    Vor zwei Jahren, in Buenos Aires, war er zum ersten Mal in Dr. Elias Königsbergs Sprechzimmer gesessen und hatte mit umherschweifendem Blick ringsum geometrische Webkunst aus Peru wahrgenommen – und dabei, sonderbar genug, die nackten Fußknöchel des Arztes entdeckt, die er sogleich in seinen Diskurs integrierte: »Gibt es denn irgendwo noch festen Boden für einen einfältig und barfüßig gewordenen Sozialwissenschaftler? Wohin führt mich – wenn ich denn einen haben sollte – mein Weg?«
    Er hatte zu Beginn der Sitzung noch, wie jeder Berufstätige, großmäulig von seiner Arbeit gesprochen: immer neue Vorhaben zum Schutz von Minderheiten, zum Abbau von Vorurteilen, zur Aufhebung diskriminierender und exkludierender Barrieren – aber dann die »nagenden Zweifel« angemeldet. In merkwürdig synchroner Weise habe der Tod seiner Frau auch die (eigentlich erwachsenen) Kinder verändert. Gabriel, immer schon untermotiviert, habe sich vehement vom vermeintlich erfolgreichen Vater als Vorbild losgesagt. Katha habe offenbar gegen die Zwänge ihrer hohen und vernunftlastigen Intelligenz rebelliert, sie dabei vermutlich beschädigt. Womöglich war das alles schon wie auf dem Sprung in ihnen gelegen, latent wie ja bei ihm selbst auch: Denn er war ebenfalls ans Ende seiner gesinnungstüchtigen Überzeugungen gelangt – am Ende seines Lateins, wie man sagt. »Ich habe wohl über vierzig Jahre lang an eine bessere Gesellschaft geglaubt, dafür gearbeitet, andere dafür arbeiten lassen und gutes Geld damit verdient. Aber kann ich jetzt immer noch der von Katha und Gabriel überführte Sandwich-Mann sein, der auf dem vorderen Plakat stolz ›Prof. Dr. Martin Holberg, Spross einer namhaften argentinischen Familie, Beauftragter für Minderheitenschutz der UNDP ‹ verkündet – hinten jedoch aufmotzend bekannt gibt: ›Ich scheiß drauf!‹? Also einer, der radikalste Gegensätze in sich herumträgt und nur versucht, sie schwebend im Gleichgewicht zu halten?« Obendrein verkaufe er sich ja auch noch schick und teuer als

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