Scherbenparadies
seinem Blick. Das Weichei hatte kapiert, worum es hier eigentlich ging. Mit eisernem Griff entwand er ihr den Prügel. »Hör auf! Es ist vorbei.«
Von irgendwoher erklangen Polizeisirenen. Augenblicke später zerhackten Blaulichter die Mondnacht. In ihrem rotierenden Schein funkelten die fallenden Schneeflocken wie Saphire.
51
Gedämpfte Geräusche. Ein pulsierender Schmerz im Arm, ein pochendes Klopfen im Schädel. Ein Mann in orangeroter Jacke beugte sich über sie. Ihr war so kalt, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Beruhigende Stimmen. Alles wird gut. Wir bringen Sie jetzt ins Krankenhaus.
Sie dämmerte wieder weg.
Als sie aufwachte, lag sie warm zugedeckt in einem weichen Bett. Die Schmerzen waren weg und auch die Übelkeit. Sie fühlte sich benommen, aber gut. Über ihr baumelte an einem Metallgestell ein Griff. Neben dem Bett stand ein Infusionsständer. Ein durchsichtiger Beutel hing daran, dessen farbloser Inhalt durch einen dünnen Schlauch in ihren Körper sickerte.
Langsam drehte sie den Kopf zur anderen Seite. Ihr Hals fühlte sich steif und verspannt an. Die Vorhänge waren zurückgezogen, die Sonne schien zum Fenster herein. Es musste schon Mittag sein.
So langsam kam die Erinnerung zurück… Janina… Sven… die weiße Pampe… Vanessa! Wo war Vanessa? Mit einem Ruck fuhr Sandra in die Höhe. Angst griff nach ihr. Vanessa!
Im selben Moment wurde die Tür vorsichtig geöffnet. Jemand sah herein. Nils!
Ihr Herz setzte für einen Schlag aus und schlug dann umso heftiger. Nils!
Als er sah, dass sie wach war, kam er herein. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Unter der Strickmütze blitzte etwas weiß hervor. Ein Verband. Sie erschrak. »Was hast du denn gemacht?«
»Halb so wild. Nur eine kleine Platzwunde.« Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss.
Wieso? Sie hatte doch mit ihm Schluss gemacht… Janina… sie blickte nicht durch… Vanessa! »Wo ist Vanessa? Sven hat sie irgendwo…«
»Keine Sorge. Vanessa geht es gut. Sie ist jetzt bei Ayshe und heute Nacht war ich bei ihr. Ich habe eurer Mutter eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Sie wird sich schon melden.«
Vielleicht, dachte Sandra. Vielleicht auch nicht. Das war jetzt nicht mehr so wichtig. Hauptsache, Nils war bei ihr. Sie wollte ihn umarmen und entdeckte erst jetzt den Gips an ihrem linken Arm. Wie kam der dahin? Ihr fehlten offenbar ein paar Stunden.
Sie lehnte sich an Nils. Er roch so gut, so vertraut. Sie sog diesen erdigen Duft ein und wurde augenblicklich ganz ruhig. »Ich versteh das alles nicht. Kannst du mir erklären, was passiert ist?«
»Wenn du im Gegenzug meine Lücken auffüllst. Mir fehlt nämlich auch ein Teil der Geschichte.«
»Okay. Du zuerst.«
Er legte seinen Arm um sie, zog sie zu sich heran und berichtete, wie er gestern am späten Nachmittag mit ihr hatte reden wollen und dabei beinahe Janina in die Arme gelaufen wäre. Janina, die Vanessa heimbrachte. Wie er dann ihr Telefonat mit Sven mitgehört und was sich daraus ergeben hatte.
»Warum hat sie das getan? Ich kapier es nicht. Ich hatte nie Zoff mit ihr. Und Sven… sie hat ihn total manipuliert.«
Nils nahm ihre Hand in seine. »Sie hat sich in mich verliebt. Das habe ich erst gestern Nacht auf der Lichtung kapiert. Wahrscheinlich ist sie schon eine ganze Weile hinter mir her. Und ich habe sie überhaupt nicht wahrgenommen, dafür aber umso mehr dich. Sie war eifersüchtig und wütend. Sie wollte dich in den Selbstmord treiben, und als das nicht geklappt hat… da hat sie zu anderen Mitteln gegriffen.«
Sandra starrte Nils an. Sie war sprachlos. Sprachlos über so viel Hass und über so viel Dummheit. War das überhaupt Dummheit? Total verblendet, dache sie. Janina ist ja total durchgeknallt, völlig verrückt. Ein totaler Psycho. »Und jetzt? Ist sie… ich meine, hat man sie eingesperrt?«
»Vorläufig ist sie in der Psychiatrie. Gestern Abend ist sie völlig durchgedreht.« Er erzählte Sandra, wie Janina und Sven sie zur Lichtung geschleppt hatten und wie er sie dort gefunden hatte. »Janina ist ausgeflippt, als ich mich um dich gekümmert habe. Mit einem Knüppel ist sie auf uns losgegangen. Wenn Sven nicht dazwischengegangen wäre, wer weiß… Als Erster war der Notarzt da. Gott sei Dank.« Er lächelte. »Als die Polizei kam, war Janina auf einmal weg. Sie haben nach ihr gesucht und sie auf der Fußgängerbrücke entdeckt, die über den Karl-Marx-Ring führt. Sie hat gedroht, sich vor ein Auto zu
Weitere Kostenlose Bücher