Schicksalsmord (German Edition)
mir nur geschrieben, unbedarfte Briefchen in ihrer sauberen Schulmädchenschrift. Unerschütterlich glaubte sie an meine baldige Entlassung und malte sich allen Ernstes aus, wie ich dann nach Bödersbach kommen und zumindest in ihrer Nähe leben würde. Jetzt, wo ich doch weder Ehemann noch Wohnung hätte. Ich ging überhaupt nicht darauf ein, doch ihre Vereinnahmungsversuche machten mich wütend.
Nach den Enthüllungen über Max und das Gift in meiner Zuflucht herrschte eine Zeit lang Schweigen ihrerseits. Dann, kurz nach ihrem Umzug, tauchte sie plötzlich persönlich auf. Ich traute meinen Augen kaum, meine Mutter, die sich jahrelang geweigert hatte, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen, besuchte mich. Auch sonst erkannte ich sie kaum wieder. Sie war modisch gekleidet und frisiert, was sie wesentlich jünger machte, und sie stützte sich nur leicht auf einen Stock, den sie eher wie ein elegantes Accesoire handhabte. Spontan erklärte sie, ihr verbessertes Befinden einer neuen Freundin zu verdanken, einer Chiropraktikerin mit geradezu magischen Fähigkeiten, die sie fast völlig von ihren Schmerzen befreit habe. Ich glaubte ihr kein Wort. Offenbar hatte sie ihr Leiden all die Jahre kultiviert, um meine Schwester und mich damit in Schach zu halten und ihren Wünschen gefügig zu machen. Während ich mich noch fragte, was sie bewogen haben mochte, diese Strategie aufzugeben, ließ sie schon die nächste Bombe platzen. Mit gut gespieltem Bedauern begann sie von ihrem Schuldanteil an meiner Misere zu sprechen. „Ich hätte diese engen Kontakte zwischen dir und deinem Vater nie zulassen dürfen. Er hat dich auf einen falschen Weg gebracht, du warst zu jung, das zu durchschauen. Ich habe es gut gemeint, er war schließlich dein Vater und ich glaubte, du hättest ein Recht ihn zu treffen. Dabei hätte ich wissen müssen, wie verheerend sein Einfluss sein würde. Bei ihm wirkte alles leicht und charmant, sein Egoismus, seine permanente Untreue, seine Verschwendungssucht. Du hast die Schattenseiten nicht gesehen und in deiner kindlichen Naivität nach genau so einem Leben gestrebt. Das war dein Unglück, davor hätte ich dich warnen müssen.“
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte es also gewusst? Sie hatte die Kontakte zu meinem Vater nicht nur geduldet, sondern vermutlich sogar eingefädelt. Wie hatte ich nur so dumm sein können, das nicht zu durchschauen, auch im Nachhinein nicht, als ich kein Kind mehr war, sondern eine Frau mit einiger Lebenserfahrung. Ungeheuer schlau war ich mir vorgekommen, weil ich das Versteckspiel so perfekt beherrscht hatte. Dabei war es viel zu perfekt gewesen, um allein von mir gesteuert zu sein. Schließlich war ich mit meinem Vater sogar mehrfach übers Wochenende oder für ein paar Tage in den Ferien verreist, ohne dass Misstrauen geäußert worden war. Meine Ausrede, die Eltern einer Freundin würden mich mitnehmen, hatte Mutter nicht nur hingenommen, sondern sogar enthusiastisch unterstützt. „Wie schön, dass Lydia solche Kontakte hat“, pflegte sie zu schwärmen, während mein Stiefvater griesgrämig schwieg. „Da sieht man mal wieder, wie beliebt sie ist.“ Nie hatte sie meine Angaben kontrolliert, was ja eigentlich nahe gelegen hätte, im Gegenteil, sie hatte mir signalisiert, wie sicher ich mich in dieser Hinsicht fühlen durfte. „Ich finde die Vorstellung fürchterlich, dass manche Mütter ihren Töchtern regelrecht nachspionieren müssen, um nicht von ihnen belogen zu werden. So etwas habe ich nicht nötig, ich weiß, dass ich meinen Kindern vertrauen kann“, stellte sie mir immer wieder eine Blankovollmacht für weitere Eskapaden aus. Auch meine Angst, sie könnte die Eltern der von mir vorgeschobenen Freundin – angesehene Geschäftsleute – ansprechen, wusste sie zu besänftigen. „Ich werde mich diesen Leuten nicht aufdrängen, sie sollen nicht den Eindruck gewinnen, ich wolle die Freundschaft meiner Tochter ausnutzen.“ Das machte alles unkompliziert, Monique log mit Wonne für mich und nahm die Grüße und Danksagungen meiner Mutter an ihre Eltern mit artigem Lächeln entgegen.
Immer neue Episoden fielen mir ein, die die Komplizenschaft meiner Mutter belegten. Die Sachen, die mein Vater mir kaufte, T-Shirts, Schuhe und Modeschmuck, nahm sie selbstverständlich als von meinem selbstverdienten Geld erworben hin. Dabei konnte jeder mühelos ausrechnen, dass meine minimalen Einkünfte niemals dafür ausgereicht hätten. Und als es einmal richtig
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