Schiffbruch Mit Tiger
schwächer gewesen, wäre ich wohl in die Knie gegangen, als ich zum ersten Mal auf die andere Seite des Höhenzugs blickte und sah, was es dort zu sehen gab.
Um mit den Einzelheiten anzufangen: Ich sah, dass die gesamte Insel mit Algen bedeckt war, nicht nur die Küste. Ich sah eine große grüne Ebene mit einem grünen Wald in der Mitte. Rings um diesen Wald sah ich - in gleichmäßigen Abständen - Hunderte von gleichgroßen Teichen mit gleichmäßig dazwischen verteilten Bäumen. Alles sah ganz danach aus, als folge es einem Plan.
Das Unvergesslichste aber waren die Erdmännchen. Selbst bei vorsichtiger Schätzung sah ich auf einen Blick Hunderttausende von ihnen. Die ganze Gegend wimmelte von Erdmännchen. Und es hatte den Anschein, als drehten sie sich bei meiner Ankunft allesamt um und blickten mich verblüfft an, wie die Hühner in einem Hühnerhof, und als stünden sie zu meiner Begrüßung auf.
In unserem Zoo hatte es keine Erdmännchen gegeben. Aber ich hatte darüber gelesen. Ich kannte sie aus Büchern und aus der Fachliteratur. Das Erdmännchen ist ein kleines südafrikanisches Säugetier, ein Verwandter des Mungo, ein fleischfressender Bewohner von Erdhöhlen. Erwachsene Tiere werden etwa dreißig Zentimeter lang und wiegen bis zu zwei Pfund; sie haben einen schlanken, wieselartigen Körper und eine spitze Schnauze; die Augen sitzen weit vorn am Kopf; sie haben kurze Beine, vierzehige Pfoten mit langen, feststehenden Krallen und einen zwanzig Zentimeter langen Schwanz. Das Fell ist hellbraun oder grau, mit schwarzen oder braunen Rückenstreifen; Schwanzspitze, Ohren und die charakteristischen Augenringe sind immer schwarz. Das Erdmännchen ist ein flinkes Tier mit sehr guten Augen; es ist tagaktiv und gesellig und ernährt sich in seiner Heimat - der Wüste Kalahari im südlichen Afrika - unter anderem von Skorpionen, gegen deren Gift es völlig immun ist. Wenn es nach Feinden Ausschau hält, stellt das Erdmännchen sich aufrecht auf die Hinterpfoten und stützt sich mit dem Schwanz ab. Oft nehmen mehrere Erdmännchen gleichzeitig diese eigentümliche Position ein; dann stehen sie in einer Gruppe beisammen und starren alle in die gleiche Richtung wie Pendler an einer Bushaltestelle. Mit ihren ernsten Mienen und der Art, wie sie die Vorderpfoten vor den Körper halten, sehen sie aus wie Kinder, die widerwillig und unnatürlich für einen Fotografen posieren, oder wie nackte Patienten in einer Arztpraxis, die verschämt versuchen, ihre Blöße zu bedecken.
Das war der Anblick, der sich mir bot: Hunderttausende - nein, eine Million - von Erdmännchen, die sich zu mir umdrehten und strammstanden, als warteten sie auf meine Befehle. Selbst auf die Zehenspitzen gereckt ist ein Erdmännchen höchstens fünfundvierzig Zentimeter groß; nicht die Größe dieser Tiere beeindruckte so, sondern ihre schier unendliche Zahl. Ich stand wie angewurzelt da, sprachlos. Wenn ich eine Million Erdmännchen zu panischer Flucht aufscheuchte, wäre das Chaos unbeschreiblich. Aber ihr Interesse an mir verflog schnell. Ein paar Sekunden, dann ließen sie sich wieder auf die Vorderpfoten fallen und machten mit dem weiter, womit sie vor meiner Ankunft beschäftigt gewesen waren, das heißt, entweder knabberten sie an den Algen, oder sie starrten in die Teiche. Alle neigten sich gleichzeitig zu Boden, wie die Gläubigen in einer Moschee.
Die Tiere kannten anscheinend keine Furcht. Als ich den Hügel hinunterkam, ergriff keines die Flucht oder zeigte auch nur die kleinste Anspannung darüber, dass ich da war. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich eins berühren, sogar in die Höhe heben können. Aber das tat ichnicht. Ich spazierte einfach mitten hinein in das, was mit Sicherheit die größte Erdmännchenkolonie der Welt war, eines der seltsamsten, aber auch wunderbarsten Erlebnisse meines Lebens. Die Luft war erfüllt von einem unablässigen Geräusch. Es war ihr Quietschen, Zirpen, Schnattern und Schnauben. So groß war ihre Zahl, so vielfältig ihre Erregung, dass es an- und abschwoll wie die Laute eines Vogelschwarms, manchmal ein lautstarkes Schwirren rundum, dann plötzlich leiser, wenn die Erdmännchen, bei denen ich stand, verstummten und dafür andere, weiter fort, losschnatterten.
Hatten sie keine Furcht vor mir, weil
ich
Furcht vor
ihnen
haben sollte? Der Gedanke kam mir. Aber die Antwort - dass sie harmlos waren - lag auf der Hand. Um an einen der Teiche zu kommen, um die sie dicht gepackt standen, musste ich einige
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