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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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Riecht Ihr Atem nach Sushi, dann könnte es Ihr Verderben sein! Wenn Sie eine Stadt wie Tokio auf den Kopf stellten und schüttelten, würden Sie staunen, was da alles an Tieren herausfällt: Dachse, Wölfe, Boa Constrictors, Komodowarane, Krokodile, Strauße, Paviane, Wasserschweine, Wildsauen, Leoparden, Seekühe, Wiederkäuer aller Art. Ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass es in Tokio schon seit Generationen wilde Giraffen und wilde Flusspferde gibt, und kein Mensch hat sie je gesehen. Vergleichen Sie einmal das, was an Ihren Schuhsohlen hängenbleibt, wenn Sie über den Bürgersteig gehen, mit dem, was Sie in Tokio im Zoo am Boden der Käfige sehen - dann blicken Sie in die Höhe! Und da wollen Sie einen Tiger im mexikanischen Dschungel finden! Lächerlich ist das, schlicht und einfach lächerlich! Ha! Ha! Ha!«
    »Es mag sein, dass es wilde Giraffen und wilde Flusspferde in Tokio gibt oder einen Eisbären, der mitten in Kalkutta lebt. Aber trotzdem glauben wir nicht, dass Sie einen Tiger auf Ihrem Rettungsboot hatten.«
    »Die Arroganz von Stadtmenschen! Ihrer Metropole gestehen Sie alle Tiere des Gartens Eden zu, aber meinem Dorf nicht einmal einen bengalischen Tiger!«
    »MrPatel, bitte beruhigen Sie sich.«
    »Wenn Sie nur wahrhaben wollen, was Sie glauben können, wofür leben Sie dann überhaupt? Liebe, ist die etwa glaubwürdig?«
    »MrPatel -«
    »Sie wollen mich mit Ihrer Höflichkeit nur einschüchtern. Es ist gar nicht so leicht, an die Liebe zu glauben, fragen Sie einen Verliebten. Es ist nicht leicht, an das Leben zu glauben, fragen Sie einen Biologen. Es ist nicht leicht, an Gott zu glauben, das sagt Ihnen jeder Gläubige. Wollen Sie wirklich nur das wahrhaben, an das Sie leicht glauben können?«
    »Wir wollen einfach nur vernünftig sein.«
    »Genau wie ich! Jede Minute meiner Reise bin ich vernünftig gewesen. Die Vernunft ist ein ausgezeichnetes Mittel, mit dem man Nahrung, Kleidung, Unterkunft bekommt. Vernunft ist der beste Werkzeugkasten. Mit nichts kann man sich so gut einen Tiger vom Leibe halten. Aber übertreiben Sie es mit der Vernunft, und Sie schütten das ganze Universum mit dem Bade aus.«
    »Beruhigen Sie sich, MrPatel, beruhigen Sie sich.«
    MrChiba: »Dem Bade? Was hat denn das Bad damit zu tun?«
    »Beruhigen? Wie könnte ich ruhig sein? Sie hätten Richard Parker sehen sollen!«
    »Ja doch.«
    »Wie gewaltig er war! Solche Zähne! Krallen wie Krummsäbel!«
    MrChiba: »Was sind Krummsäbel?«
    MrOkamoto: »Chiba-san, statt dass Sie dumme Fragen stellen, sollten Sie auch einmal etwas tun. An diesem Jungen werden wir uns noch die Zähne ausbeißen. Tun sie doch etwas!«
    MrChiba: »Schauen Sie, ich habe noch einen Schokoladenriegel!«
    Pi Patel: »Oh, danke!«
    [Langes Schweigen]
    MrOkamoto: »Dabei hat er schon unser ganzes Mittagessen bekommen. Als Nächstes wird er Tempura wollen.«
    [Langes Schweigen]
    MrOkamoto: »Wir kommen vom Thema ab. Wir sind hier, um Ermittlungen zum Untergang eines Frachters anzustellen. Sie sind der einzige Überlebende. Und Sie waren ja nur Passagier. Keiner könnte Sie für das, was geschehen ist, verantwortlich machen. Wir—«
    »Schokolade, einfach wunderbar!«
    »Wir sind nicht hier, um Ihnen Vorwürfe zu machen. Sie sind ein unschuldiges Opfer einer Schiffstragödie. Wir wollen nur herausfinden, wie und warum die
Tsimtsum
untergegangen ist. Wir dachten, Sie können uns dabei vielleicht helfen, MrPatel.«
    [Schweigen]
    »MrPatel?«
    [Schweigen]
    Pi Patel: »Es gibt Tiger, es gibt Rettungsboote, es gibt Ozeane. Nur weil die drei in Ihrer begrenzten Erfahrung noch nie zusammengekommen sind, wollen Sie behaupten, es sei unmöglich. Aber Tatsache ist, dass die
Tsimtsum
die drei zusammenbrachte und dann unterging.«
    [Schweigen]
    MrOkamoto: »Was ist mit dem Franzosen?«
    »Was ist mit ihm?«
    »Zwei blinde Schiffbrüchige in zwei Rettungsbooten begegnen sich mitten auf dem Pazifik - das ist doch nun wirklich ein unwahrscheinlicher Zufall, oder?«
    »Da haben Sie Recht.«
    »Die Wahrscheinlichkeit ist gleich null.«
    »Das gilt für die Lotterie auch, und trotzdem gibt es immer Leute, die gewinnen.«
    »Wir finden es
extrem
unwahrscheinlich.«
    »Genau wie ich.«
    »Hätten wir uns doch bloß den Tag freigenommen. Sie haben sich über Essen unterhalten?«
    »So war es.«
    »Er hatte eine Menge Ahnung von der Kochkunst.«
    »Wenn Sie das Kochkunst nennen wollen.«
    »Die
Tsimtsum
hatte einen französischen Koch.«
    »Franzosen gibt es

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