Schiffbruch Mit Tiger
kündete von tiefer Verwirrung. Sie stand unter schwerem Schock. Ein paar Minuten lang lag sie flach auf der Plane, reglos und still, dann streckte sie den Arm aus und fiel hinunter ins Boot. Ich hörte einen Hyänenschrei.
Kapitel 43
Das Letzte, was ich vom Schiff sah, war ein Ölfleck, der auf der Wasseroberfläche schillerte.
Ich war mir sicher, dass ich nicht allein war. Es war doch unvorstellbar, dass die Tsimtsum sank, ohne dass es auch nur das kleinste Fünkchen Aufmerksamkeit erregte. In diesem Augenblick schrillten in Tokio, in Panama-Stadt, in Madras, in Honolulu, ja sogar in Winnipeg die Alarmglocken, rote Lichter gingen an, und Menschen rissen die Augen auf, riefen: »Um Himmels willen, die
Tsimtsum
ist untergegangen!«, und Hände griffen nach Telefonen. Weitere rote Lichter gingen an, weitere Glocken schrillten. Flieger liefen zu ihren Maschinen, ohne dass sie sich auch nur die Schuhe zugebunden hatten, so eilig hatten sie es. Die Steuermänner auf den Schiffen kurbelten am Ruder, bis ihnen schwindelig davon wurde. Selbst Unterseeboote machten unter Wasser Wendemanöver, um ihren Teil zur Rettung beizutragen. Schon bald würden wir in Sicherheit sein. Ein Schiff würde am Horizont auftauchen. Eine Waffe würde sich finden, mit der jemand die Hyäne erschießen und das Zebra von seinen Qualen erlösen würde. Vielleicht würde Orangina noch gerettet. Ich würde an Bord klettern, wo meine Familie schon auf mich wartete. Man hatte sie aus einem anderen Rettungsboot geholt. Ich musste nur die nächsten paar Stunden überleben, bis das rettende Schiff erschien.
Ich lehnte mich von meinem Posten vor und griff nach dem Netz. Ich rollte es zusammen und warf es in die Mitte der Plane, wo es als Barriere dienen konnte. Jedes bisschen half. Orangina wirkte wie gelähmt. Ich rechnete damit, dass der Schock sie umbringen würde. Was mir wirklich Sorgen machte, war die Hyäne. Ich hörte sie heulen. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass ein Zebra - eine vertraute Beute - und ein Orang-Utan - eine weniger vertraute - sie von mir ablenken würde.
Ich hielt ein Auge auf den Horizont, das andere auf das gegenüberliegende Ende des Bootes. Außer dem Heulen der Hyäne war wenig von den Tieren zu hören, nichts außer Hufen und Krallen, die auf der harten Oberfläche scharrten, einem Stöhnen dann und wann, unterdrückten Schreien. Größere Kämpfe gab es anscheinend nicht.
Mitte des Vormittags ließ die Hyäne sich wieder blicken. In den letzten Minuten hatte sich ihr Heulen zu einem regelrechten Schrei gesteigert. Sie machte einen Satz über das Zebra und sprang ins Heck, wo die seitlichen Bänke des Rettungsbootes zu einem dreieckigen Sitz zusammenliefen. Es war ein Platz recht weit oben, die Entfernung zwischen Bank und Bootsrand war nur etwa ein Viertelmeter. Ängstlich blickte das Tier aus dem Boot. Die endlos wogende See war wohl das Letzte, was die Hyäne sehen wollte, denn sie duckte sich sofort wieder und sprang hinunter auf den Boden hinter dem Zebra. Dort war es mehr als nur eng. Zwischen dem breiten Rücken des Zebras und den Schwimmtanks, die rund um das Boot unter den Bänken verliefen, war nicht gerade viel Platz für eine Hyäne. Sie drückte sich einen Moment lang in diese Kuhle, dann kletterte sie wieder auf die Bank, sprang über das Zebra zur Bootsmitte und verschwand unter der Plane. Dieser Ausbruch von Aktivität dauerte keine zehn Sekunden. Die Hyäne kam bis auf fünf Meter an mich heran. Ich reagierte nicht, ich war nur gelähmt vor Schrecken. Das Zebra hingegen reckte sofort den Hals und gab Laut.
Ich hoffte, die Hyäne würde unter der Plane bleiben. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Fast schon im nächsten Augenblick sprang sie wieder über das Zebra zurück auf die Heckbank. Dort drehte sie sich im Kreis, zögernd, mit einem Winseln. Ich fragte mich, was sie wohl als Nächstes tun würde. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Die Hyäne senkte den Kopf und lief eine Runde um das Zebra; aus den beiden Seitenbänken, der Heckbank und der Querbank unmittelbar vor der Plane machte sie eine etwa siebeneinhalb Meter lange Rennstrecke. Sie lief eine Runde - dann zwei - drei - vier - fünf und immer so weiter, nonstop, bis ich mit dem Zählen nicht mehr mitkam. Und Runde um Runde, mit schriller Stimme, stieß sie ihr Lachen aus,
yip yip yip yip yip.
Auch diesmal reagierte ich kaum. Ich war vor Schrecken starr, ich konnte nur zusehen. Das Tier legte ein ordentliches Tempo vor, und
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