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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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hinaus aufs Meer. Vielleicht hatten auch einige von ihnen Glück und blieben an Bord bis ans Ende ihrer Tage.
    Als der Abend näher kam, wurde ich unruhiger. Dass der Tag zu Ende ging, machte mir Angst. In der Nacht würde ein Schiff mich nur mit Mühen finden. In der Nacht würde die Hyäne wieder aktiv werden und vielleicht auch Orangina.
    Es wurde dunkel. Eine mondlose Nacht. Die Sterne blieben hinter den Wolken verborgen. Selbst Umrisse waren kaum noch zu sehen. Alles verschwand, das Meer, das Rettungsboot, mein eigener Körper. Es ging kaum Wind und die See war ruhig, und so hatte ich nicht einmal Geräusche zu meiner Orientierung. Es war, als schwebte ich im reinsten, tiefsten Schwarz. Ich hielt meine Augen weiter auf der Höhe, auf der ich den Horizont vermutete, die Ohren blieben gespitzt, damit mir kein Laut von den Tieren entging. Ich hatte kaum Hoffnung, dass ich die Nacht überstehen würde.
    Nach einer Weile begann die Hyäne zu fauchen, das Zebra bellte und schrie, und mehrfach kam etwas wie ein Klopfen. Ich zitterte vor Furcht und - ich will hier nichts verschweigen - machte mir in die Hose. Aber die Laute kamen vom anderen Bootsende. Es war kein Schwanken zu spüren, das auf Bewegung schließen ließ. Der Höllenhund blieb offenbar, wo er war. Näher zu mir hin hörte ich im Dunkel lautes Seufzen und Stöhnen, ein Grunzen und verschiedenerlei Schmatzen. Der Gedanke an das, was geschehen würde, wenn Orangina sich regte, war zu viel für meine Nerven, und ich verbannte ihn einfach. Ich hörte weg. Auch von unter mir kamen Laute, aus dem Wasser, ein plötzliches Platschen und Zischen, das fast im selben Augenblick schon wieder vorbei war. Auch dort kämpften Geschöpfe um ihr Leben.
    Die Nacht ging vorüber, Minute um quälende Minute.

Kapitel 45
    Es war kalt. Die Erkenntnis kam mir ganz nüchtern, als beträfe sie mich gar nicht. Der Tag brach an. Der Wechsel kam rasch und doch in winzigen Schritten. Ein Winkel des Himmels verfärbte sich. Die Luft füllte sich mit Licht. Die ruhige See öffnete sich rundum, als würde ein großes Buch aufgeschlagen. Noch fühlte es sich wie Nacht an. Im nächsten Moment war es schon Tag.
    Warm wurde es erst, als die Sonne am Horizont aufstieg wie eine elektrisch beleuchtete Apfelsine, aber so lange musste ich nicht warten. Schon vorher spürte ich eine Wärme von innen, die mit den allerersten Lichtstrahlen kam: die Hoffnung. Und je mehr die Dinge wieder ihre Gestalt und Farbe annahmen, desto stärker wurde die Hoffnung, bis sie wie ein Gesang in meinem Herzen war. Wie wunderbar, sich darin zu sonnen! Alles würde gut. Das Schlimmste war überstanden. Die Nacht hatte ich überstanden. Heute würde Rettung kommen. Schon der Gedanke, die Worte, die sich im Geiste zum Satz formierten, waren ein Quell der Hoffnung. Hoffnung machte Mut zu weiterer Hoffnung. Der Horizont war nun wieder eine klare, scharfe Linie, und eifrig suchte ich sie ab. Es war wieder ein klarer Tag, die Sicht war perfekt. Ich malte mir aus, wie Ravi mich als Erster begrüßen würde, mit seinem üblichen Spott. »Was ist denn das?«, würde er sagen. »Kaum sitzt du allein in einem großen Rettungsboot, schon stopfst du es mit Tieren voll. Hältst du dich etwa jetzt für Noah?« Vater würde unrasiert sein, mit wirrem Haar. Mutter würde den Blick zum Himmel heben und mich in die Arme schließen. In Dutzenden von Varianten stellte ich mir vor, wie ich auf das rettende Schiff kam, Variationen über das Thema Wiedersehen. Mochte der Horizont sich auch nach unten krümmen, der Schwung meiner Lippen ging an jenem Morgen entschieden in die andere Richtung. Ich lächelte.
    Erst nach langer Zeit, so seltsam das klingen mag, sah ich, wie die Dinge im Rettungsboot standen. Die Hyäne hatte das Zebra angegriffen. Ihre Schnauze war blutverschmiert, und sie kaute noch an einem Stück Fell. Automatisch wanderte mein Blick zum Zebra, auf der Suche nach der Wunde, der Stelle, an der sie zugebissen hatte. Mir stockte der Atem.
    Das gebrochene Zebrabein war verschwunden. Die Hyäne hatte es abgebissen und nach hinten geschleppt, hinter das Zebra. Ein Fellfetzen hing halb über den offenen Stumpf, aus dem noch das Blut tropfte. Das Opfer ertrug seine Leiden stoisch, ohne großen Protest. Ein langsames, gleichmäßiges Mahlen der Zähne war das einzige sichtliche Zeichen der Qualen, die es litt. Entsetzen, Abscheu und Wut wallten in mir auf. Ich hasste die Hyäne zutiefst. Ich überlegte, wie ich sie töten konnte. Aber

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