Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
hierbleiben, auf Station 4 steht ein Bett für sie bereit. Sie können mit ihr nach oben gehen, die Schwester weiß Bescheid. Sie können ihr ja später noch Sachen vorbeibringen.« Die praktischen Handlungsanweisungen der Ärztin bekomme ich kaum mit, ich stehe unter Schock. Dass Lena ein psychisches Problem hat, war irgendwie klar, sonst wäre ich nicht in die Psychiatrie gefahren. Aber niemals hätte ich mit der furchteinflößenden Diagnose Schizophrenie gerechnet. Es fühlt sich an, als ob dies das Ende unseres Lebens ist. Die Schuldgefühle, die ich nicht haben soll, nehme ich gar nicht wahr. Mein Kopf ist leer. Ich bin froh, dass die Ärztin mir erklärt, dass eine Schwester uns nach oben begleiten wird. Lena und ich brauchen jetzt jemanden, der uns sagt, was zu tun ist. Friederike und mein Neffe versprechen zu warten.
»Haben Sie Ihre DAK-Karte mit?«, fragt die Schwester. »Die brauche ich noch. Und dann müssen Sie dieses Formular ausfüllen.« Ich starre sie an. DAK-Karte? Formular? Ich bin unfähig, in diesem Moment über solche Dinge nachzudenken. Die Schwester bemerkt meine Verwirrung und murmelt, dass wir das später nachholen können.
Wir folgen der Schwester in den Fahrstuhl. Was erwartet uns auf der Station? Ich frage mich, ob es Anstaltskleidung gibt, abgeschlossene Flure und Zimmer ohne Fenster. Ob wir von stöhnenden und brüllenden Insassen und muskulösen Wärtern empfangen werden, die bereit sind einzugreifen, wenn jemand sich »verrückt« benimmt. Zu meiner Überraschung lässt sich die Glastür, die den Blick auf einen Flur freigibt, problemlos öffnen. Also keine verschlossenen Türen? Sie bittet uns höflich, im Aufenthaltsraum Platz zu nehmen. Kurz darauf erscheint ein freundlicher junger Mann in Jeans und Kapuzenpulli. »Haben Sie vielleicht Hunger?«, fragt er Lena. »Ich könnte Ihnen noch etwas warm machen.« Lena möchte gerne etwas essen. Ich bin überrascht, der junge Pfleger entspricht nicht meiner Vorstellung. Die Pfleger in Hollywoodfilmen sehen anders aus. Überhaupt ist alles anders, als ich – durch Literatur und Medien beeinflusst – gedacht habe. Niemand brüllt, es gibt keine verschlossenen Türen, und die Patienten werden höflich mit Nachnamen und »Sie« angesprochen. Niemand trägt Anstaltskleidung oder einen Schlafanzug. Lenas Zimmer sieht wie ein normales Krankenhauszimmer aus, nur das Fenster lässt sich nicht öffnen. Eine ältere Frau schläft im zweiten Bett. Es gibt einen großen Ess- und Aufenthaltsraum, in dem die Patienten rauchen können. Vom Gang aus kann ich in einen freundlich eingerichteten Fernsehraum blicken.
Als ich Lena in ihr Zimmer begleite und verspreche, gegen Abend wiederzukommen und ihre Sachen zu bringen, fängt sie an, bitterlich zu weinen. »Du kannst mich doch nicht hierlassen, Mama«, weint sie. »Ich will nicht in eine Irrenanstalt, ich will nicht hierbleiben. Ich will wieder mit dir nach Hause. Ich will wieder nach England ins Internat.« Mir kommen auch die Tränen. Soll ich sie wieder mitnehmen? Aber welche Gefahr besteht für sie, wenn sie wirklich Schizophrenie hat? Was kann passieren, wenn ich sie nicht hierlasse? Was ist jetzt richtig? Nur mit Hilfe der Schwester, die beruhigend auf Lena und mich einredet und mir erklärt, der Arzt käme gleich, kann ich mich von Lena losreißen. Sie bekäme gleich Medikamente, dann würde es ihr bessergehen. Ich weiß nicht mehr, wie ich, begleitet von Lenas Schluchzen und ihren Rufen »Mama, lass mich nicht hier!« über den Flur, durch die Tür und wieder aus dem Krankenhaus komme. Ich bin froh, dass Friederike und Hagen mich nach Hause begleiten und mir helfen, ein paar Sachen für Lena einzupacken.
Als ich wieder ins Krankenhaus komme, liegt sie angezogen im Bett und schläft tief. Ihre langen dunklen Haare sind über das Kopfkissen gebreitet, und ihr Gesicht ist von Tränenspuren und Eyeliner verschmiert. Zwei Stunden sitze ich an ihrem Bett und betrachte meine hübsche Tochter. Sie sieht so friedlich aus. Was geht in ihr vor? Weshalb wacht sie nicht auf, obwohl die andere Patientin lärmend ins Zimmer kommt, in ihren Sachen kramt und die Tür knallend wieder hinausgeht? Ich möchte wissen, was für Medikamente man ihr gegeben hat. Ich möchte mit der Ärztin sprechen und fragen, welche Mittel es gegen Schizophrenie gibt. Ich möchte wissen, ob Lena unter ihrem »merkwürdigen« Verhalten leidet oder ob sie vielleicht Schmerzen hat. Ich fürchte, dass sie mir nie verzeihen wird, dass
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