Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Tee zu beruhigen, ihre Lieblingsgerichte zu kochen und sie aufzuheitern. Ich merke ja auch, dass sie extrem nervös ist. Weshalb erzählt sie solche Sachen? Meine Mitarbeiterin guckt mich skeptisch an, und ich spüre, dass sie mir nicht wirklich glaubt.
Wieder scheucht mich ein Anruf auf. »Mami, irgendetwas stimmt mit Lenas Ticket nicht«, sagt meine ältere Tochter Friederike.
»Mit welchem Ticket? Und wo seid ihr überhaupt?«
»Wir sind hier am Flughafen. Lena fliegt doch wieder nach England, und du hast das Ticket hinterlegt. Aber die Frau von der BA sagt, hier sei kein Ticket.«
Ich falle aus allen Wolken. Lena am Flughafen, auf dem Weg nach England? Mein Pulsschlag erhöht sich. »Wieso bist du überhaupt mit ihr am Flughafen?« Friederike hat Lena auf dem Bürgersteig vor dem Haus sitzend neben einem Koffer vorgefunden. Sie müsse zum Flughafen, erzählt sie, habe aber kein Geld für ein Taxi und könne mich telefonisch nicht erreichen. Friederike bietet sich an, ihr zu helfen und sie zum Flughafen zu begleiten. Ich hole tief Luft und bitte Friederike, sich nicht von der Stelle zu rühren, bei Lena zu bleiben und jede Aufregung zu vermeiden. Sie solle ihr sagen, ich käme gleich. Endgültig wird mir klar, dass ich die Hilfe der Psychiatrie in Anspruch nehmen muss. Hier ist etwas nicht mehr normal . Aber was ist, wenn Lena sich weigert mitzukommen? Ich bitte einen Cousin von Lena, mich zu begleiten. Noch nie bin ich, unter Missachtung aller Verkehrsregeln, so schnell zum Flughafen gefahren. Dort treffen wir auf Friederike und eine entspannte Lena, die ruhig im Wartebereich sitzt, Cola trinkt und raucht. Zu meinem Erstaunen steigt sie ohne jeden Widerstand ins Auto. Sie freut sich, ihren Cousin zu sehen, aber sie ist etwas unruhig, und sie fragt noch einmal nach dem Flug. Ich verspreche, dass wir am nächsten Tag nachfragen würden. Während wir ins nächstgelegene psychiatrische Krankenhaus fahren, fällt mir wieder auf, wie albern sie vor sich hin kichert. Im Gegensatz zu mir scheint sie keine Angst vor dem zu haben, was sie erwartet. Sie geht ohne Widerstand in das Gebäude, sieht etwas abwesend, aber entspannt aus. Ob sie noch eine Cola haben könne? Und sie müsse unbedingt noch eine rauchen, bevor wir mit einem Arzt sprechen. Wir warten geduldig mit ihr in der Krankenhauslobby. Wir machen alles mit, solange sie nicht wegläuft oder sich weigert, mit zu den Ärzten zu kommen. Aber Lena folgt uns problemlos zur Anmeldung.
Die Diagnose
Eine freundliche Ärztin empfängt uns, und ich beschreibe ihr vorsichtig, was vorgefallen ist und dass ich sehr besorgt bin. Lena sitzt neben mir. Wie soll ich in ihrer Gegenwart erklären, dass sie sich »verrückt« verhält? Wie wird das auf sie wirken? Frau Dr. B. beginnt, sich mit Lena zu unterhalten, fragt, wie es ihr gehe, wie lange sie in England gewesen sei und ob es ihr dort gefalle. Lena antwortet ruhig, aber etwas fahrig und unkonzentriert. Sie scheint abwesend, will rauchen, kichert und sagt, dass sie schnell ins Internat zurückmüsse, weil sie eine Englischarbeit vor sich habe. Nach kurzer Zeit greift die Ärztin zum Telefonhörer und fragt, ob noch ein Bett frei sei.
»Ihre Tochter hat Schizophrenie«, sagt die Ärztin sachlich. »Aber Sie brauchen keine Schuldgefühle zu haben.«
Der Boden tut sich unter mir auf. Meine Tochter – Schizophrenie? Ist Schizophrenie nicht diese entsetzliche Krankheit, mit der man rasende, gefährliche Menschen assoziiert, die mit abstehenden Haaren und wahnsinnigem Blick ihre Umgebung bedrohen? Stöhnende, lethargische Patienten, die in weißen Kitteln durch die Flure von »Irrenanstalten« schleichen? So wie Jack Nicholson in dem Film »Einer flog übers Kuckucksnest « oder Angelina Jolie in »Durchgeknallt « ? Meine 17-jährige Tochter, die kindlich kichert und unverständliche Sätze vor sich hin murmelt, aber sicher für niemanden eine Bedrohung darstellt, soll an Schizophrenie erkrankt sein? Und was soll diese Diagnose mit Schuldgefühlen zu tun haben?
Ich ringe darum, die Diagnose zu begreifen und zu verstehen, dass meine Tochter nun auf die Station einer psychiatrischen Klinik gehen soll. Sie bekommt ein Zimmer zugewiesen, und ich muss sie dortlassen. Aus Filmen und Büchern habe ich entsetzliche Vorstellungen von psychiatrischen Anstalten. Wie wird es dort aussehen? Was wird mit Lena gemacht? Wird sie festgebunden werden? Wie wird der Umgangston dort sein? Darf ich sie begleiten?
»Ihre Tochter kann gleich
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