0809 - Das Schlangenkreuz
Es war nicht zu erklären, zumindest nicht mit dem menschlichen Verstand. Was sich da auf ihrem Rücken zuckend bewegte und sie wie ein Kloß niederdrückte, war ein Herz!
Ein gewaltiges Etwas – weich und pulsierend, die Innerei aus dem Körper eines Riesen. Nur wusste es Kiki Lafitte besser. Dieses Herz war einmal normal gewesen, auch wenn sie das relativieren musste, denn welches Herz hatte schon die Kraft, die Bohlen des Fußbodens aufzubrechen und sich zu befreien?
So aber war es geschehen, und Kiki hatte erleben müssen, wie sie angegriffen worden war. Das Herz war gegen ihren Rücken geprallt und hatte sich dort regelrecht festgebissen, und dann war es gewachsen. Sein Volumen hatte sich vergrößert, es war zu einem amöbenhaften Ungeheuer geworden, das nur darauf gewartet hatte, einen Menschen anzugreifen.
Es wollte die Frau.
Es wollte Leben.
Denn Kiki hatte tatsächlich gehört, wie es mit ihr Kontakt aufnahm. Es hatte mit ihr ›gesprochen‹.
Nicht mit einer Lautstärke wie die menschliche Stimme, sein Reden war in ihre Gedanken eingedrungen, und Kiki erinnerte sich noch gut an diese ›Worte‹.
Leben – du bist das Leben.
Ja, sie war das Leben. Es stimmte, das Herz hatte Recht. Sie lebte, und sie war auch ungemein froh darüber, doch wie sie jetzt lebte, konnte sie einfach nicht mehr existieren. Sie wusste genau, dass es für sie keine Zukunft mehr gab.
Sie glaubte bereits, dass über der Hütte der unheimliche Sensenmann schwebte, seine Sichel schwang und sie irgendwann nach unten schlug, um sie zu vernichten.
Kiki war zweiundzwanzig, ein Kind des Südens, ein Kind der Slums. Brutal war ihre Jugend gewesen, ein einziger Kampf. Bisher kam Kiki zurecht, auch wenn das Seil, auf dem sie spazierte, verdammt dünn gewesen war. Sie stand auf der Kippe, sie war an Drogen geraten, zum Glück erst an die harmloseren, sie rauchte Gras, doch irgendwann würde sich das ändern, denn der Sprung zu härteren Drogen war nicht weit.
Das alles war vergessen, denn seit der Nacht, in der man sie abgeholt und mitgenommen hatte, war nichts mehr so wie sonst. Alles hatte sich dabei auf den Kopf gestellt. Sie wusste nicht, wer ihre Entführer gewesen waren, sie hatte ihre Gesichter nicht gesehen, nur flüsternde Stimmen vernommen, und dann hatte sie den Horror mit dem Herzen erlebt, und der hielt jetzt noch an.
Ausgerechnet sie war entführt worden. Eigentlich hätte sie darüber lachen können, nur war ihr nicht danach zumute. Hinter ihr lag der Schrecken, doch Kiki war zäh. Auch jetzt, wo sie auf dem Boden lag und das Herz auf sich spürte, dachte sie darüber nach, warum man ausgerechnet sie geholt hatte.
War der Grund ein Mann gewesen?
Wäre die Lage nicht so schlimm gewesen, hätte sie ja darüber gelacht, denn ihr war etwas passiert, für das sie sich hätte in den Hintern beißen können.
Kiki hatte sich verliebt!
Das wäre nicht unnormal gewesen, bei einer jungen Frau, doch sie hatte sich ausgerechnet in einen Polizisten, einen Bullen mit sozialem Touch, verliebt.
Nicht in einen simplen Streifenbeamten, sondern in Bob Crane, einen Schwarzen, der zu einer Sondertruppe gehörte, die auf Dealer spezialisiert war und versuchte, die Großen zu fangen, die hinter den Geschäften steckten.
Kikis Gefühle waren völlig durcheinander geraten. Nie hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren könnte, aberes war geschehen, und damit musste sie erst einmal zurechtkommen.
Zudem hatte Crane ihre Gefühle erwidert, aber er war sehr vorsichtig, liebevoll und behutsam gewesen, was ebenfalls für sie neu gewesen war, denn echte Liebe hatte Kiki bis dato nicht erlebt. Bei ihr war es mehr der reine Sex gewesen. Da spielten hochgepeitschte Gefühle nur für den Augenblick eine Rolle.
Bob war so anders, so liebevoll, er hatte auch Verständnis gezeigt, und allmählich hatte sie auch begriffen, dass es keine Scheu war oder dass er sie einfach rumkriegen wollte. Er hatte es tatsächlich ehrlich mit ihr gemeint.
Wahnsinn…
Und nun das hier!
Entführt, gequält, und dabei immer näher an die Schwelle des Todes gebracht.
Beweise brauchte Kiki eigentlich nicht. Sie ging einzig und allein davon aus, dass diese verdammte Entführung und die anschließende Quälerei mit ihrem Verhältnis zu Bob Crane zusammenhing.
Man wollte nicht nur sie treffen, sondern auch ihn.
Aber warum auf diese Art und Weise? Warum quälte man sie zu Tode? Warum hatte man ihr nicht einfach die Kehle durchgeschnitten und sie in irgendeinen
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