Schlaf, Kindlein, schlaf
sehen, wo das Feuer immer noch wütete, und die Flammen flatterten und zuckten wie blutrote Tücher, die zum Leben erweckt worden waren.
Valerie stellte sich neben Máire und griff ihren Arm. »Was glaubst du, was ist hier passiert? Meinst du, in das Haus ist der Blitz eingeschlagen? Oder wodurch wurde das Feuer ausgelöst?«
»Das weiß ich nicht. Aber wir werden es sicher bald herausfinden.«
Valerie umklammerte ihren Arm fester. »Willst du etwa in diese stinkende Hölle zurücklaufen? Was, wenn er da ist?« Sie bekam Regentropfen in ihren Mund und musste husten.
»Wir müssen Hilfe holen. Stell dir vor, da drinnen sind noch mehr Mädchen.« Máire dachte mit Grausen an C.J.
»Aber wie … Was sollen wir ma…« Sie unterbrach sich. »Du willst doch nicht etwa wieder in den Keller runtergehen?«
»Mein Handy liegt im Auto. Ich muss es nur aufladen, dann können wir Hilfe rufen.« Máire kniff in dem dunklen Regen die Augen zusammen. Er strömte herab, als würden sie am Ende eines Wasserfalls stehen.
Valerie ließ den Blick schweifen und sagte düster: »Er muss hier irgendwo sein! Ich weiß das!«
Und sie hatte recht. Máire erspähte einen Umriss im Regen vor dem roten flackernden Schein des brennenden Hauses, der zu einem Mann – oder einem Felsen – gehören konnte. Ein Fels, der irgendetwas in der Hand hielt. Er steuerte zielstrebig auf sie zu.
Auch Valerie sah ihn jetzt. »Oh Gott!«, rief sie. »Das ist er! Da ist er! Er hat uns gesehen!« Im Widerschein der Flammen spiegelte sich in ihrem Blick die blanke Angst. Sie wollte schon die Flucht ergreifen, aber Máire packte ihren Arm und hielt sie fest.
»Was soll das? Lass uns von hier verschwinden, verdammt noch mal! Der bringt uns um!« Valerie begann zurückzuweichen. »Komm jetzt!«
Máire wusste nicht, warum sie stehen blieb – irgendetwas jenseits der fünf Sinne musste sie dazu bewogen haben. Der Kompass ihrer Instinkte. Irgendetwas …
Valerie rüttelte sie wie ein verzweifeltes Kind und versuchte, sie wegzuzerren. »Worauf wartest du noch?« Sie stieß einen gellenden Schrei aus. »Komm jetzt! Bist du verrückt geworden? … Worauf wartest du?«
Am Himmel zuckten mehrere Blitze hintereinander, und das folgende Donnergrollen ließ den Boden erbeben. Der Regen prasselte wie tausend kleine Glasmurmeln auf ihre Köpfe.
Máire streckte die Arme nach ihr aus und rief durch das Gewitter: »Warte doch! Ganz ruhig!«
»Ganz ruhig?« Valerie schüttelte den Kopf und zog Máire am Arm, dass sie ihr fast die Schulter ausgekugelt hätte, aber sie widerstand dem Reflex, die Beine in die Hand zu nehmen und sich in Sicherheit zu bringen. Sie rief: »Nein, nein, wir müssen laufen!« Sie wollte Máire mit sich ziehen. »Komm jetzt! Er bringt uns um, Máire. Wir müssen hier weg! Er ist der Teufel persönlich. Der Teufel, verstehst du? Kapierst du das? Oh Gott, du kannst dir nicht vorstellen, wozu er fähig ist … Herr im Himmel! Komm jetzt!« Sie war kurz davor, in Panik zu geraten. Ihr Gesicht war vor Schreck und Verzweiflung verzerrt. Sie sah Máire durchdringend an. »Komm jetzt! Worauf wartest du noch?«, wiederholte sie.
Máire starrte unbeirrt geradeaus.
Der Mann kam direkt auf sie zu. Mit jeder Sekunde kam er näher.
Máires Herz raste.
»Allmächtiger, was ist denn los mit dir? Verdammt noch mal!« Valeries Stimme durchschnitt die geladene Atmosphäre, und sie taumelte rückwärts, schlotternd vor Angst, Máires Arm noch immer fest umklammert.
Máire reagierte nicht und fixierte den Mann, der den herabgefallenen Ästen auswich oder über sie herüberstieg. Er trug eine Schaufel. Oh Gott, vielleicht hatte Val recht, und es war LeBelle.
Aber als sich der Abstand zwischen ihnen weiter verringerte, erkannte sie durch den Regen, dass er es nicht war. Es musste jemand von der Polizei sein, Cooper oder Bondurant. Das war schwer zu sagen. Aber dann erkannte sie ihn eindeutig: Es war Bondurant. Sie sah sein Haar im Regen silbrig schimmern. Sein breiter Brustkorb spannte das tropfnasse Uniformhemd bis zum Bersten. Máire holte ein paar Mal tief Luft. Plötzlich fühlte sie sich leer und erschöpft vor Erleichterung, und sie wurde von dem Bedürfnis übermannt, in Tränen auszubrechen.
Mehr lachend als weinend rief sie aus: »Das ist er ja gar nicht!«
»Wer denn dann?«, wollte Val wissen und folgte ihm mit dem Blick. Ihre blauen Augen blickten verwirrt vor Angst und wie verschleiert durch die Tränen.
»Die Polizei!«
Ihre Gedanken standen
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