Schlaf, Kindlein, schlaf
vergewaltigt, misshandelt, gequält und getötet hast.«
LeBelle lachte nervös und blinzelte.
»Du hast einen Polizisten umgebracht, oder soll ich besser sagen, deinen Komplizen? Denn das war er doch, oder? Ihr seid zu zweit gewesen, das hat zumindest das Mädchen gesagt. Und sie hat dich gefunden. Die Ordnungshüter haben es nicht geschafft, dich zu finden, weder mit Spürhunden noch mit Taschenlampen. Aber sie hat dich gefunden.«
Marlon LeBelle war perplex.
»Glaub ja nicht, dass sich jemand die Mühe macht, die Umstände näher zu untersuchen.« Er hielt kurz inne, dann fügte er hinzu: »Ich tue der Welt einen Gefallen und erlöse sie von einem weiteren sadistischen Schwein. Das funktioniert immer. Die Behörden sind der Todesursache gegenüber erstaunlich gleichgültig eingestellt. Das Einzige, was die interessiert, ist, dass du weg bist. Klingt das für deine Ohren nachvollziehbar?« Er lächelte kalt: »Und wenn hier sowieso eine Ratte stinkt, dann ist es nur gut, wenn gerade ein Rattenfänger in der Nähe ist, oder?«
Die Bedeutung der gesagten Worte hing in der Luft und klang klirrend nach wie eine Glasglocke. Ihm wurde das Ausmaß an Ekel klar, den sein Gegner für ihn empfand. Marlon LeBelle sah einen Moment lang aus wie jemand, der eine Fischgräte verschluckt hatte, und sein finsterer Blick schien zwischen Euphorie und Panik zu schwanken. Sein Lächeln erstarb, und aus seiner Kehle drang ein Laut, der seiner Panik Ausdruck verlieh.
Sein Gegner wartete nicht, bis er die Frage beantwortete. »Ich finde sie selbst«, sagte er, nahm den Fuß von der Stufe, zielte, indem er die Hand mit der Waffe mit dem anderen Arm stützte, und feuerte eine Sekunde später zwei Schüsse aus nächster Nähe ab, sodass Funken und Hirnmasse in die Dunkelheit spritzten.
Während sich die Totenblässe über Marlon LeBelles Gesicht ausbreitete und seine Haut weiß werden ließ wie ein verwaschenes Laken, wurde sein letzter Gedanke in seinem Kopf immer wieder abgespult …
28
Máire wurde in dem kühlen Sarg wach. Zuerst zitterten die Lider, die Mundwinkel zuckten unkontrolliert, und ein Klagelaut entrang sich ihrer Kehle. Ganz langsam wachte sie auf. Sie blinzelte, silbrige Flecken glitten einen unendlich langen Korridor der Finsternis entlang, dann überlagerten sie sich und verschmolzen zu zwei hellen Lampen, die wenige Zentimeter dicht vor ihrer Nase leuchteten. Zunächst dachte sie, sie sei tot, doch ihre Wahrnehmung kehrte rasch zurück. Sie sah sich hilflos um, wurde aber nur mit dem Anblick der rosafarbenen Seide des Sargs belohnt. Sie holte tief Luft und schüttelte den Kopf, als würde so der Wahnsinn verschwinden. Sie meinte, Valeries Stimme gehört zu haben, aber sie hatte bestimmt geträumt oder halluziniert. Sie hatte wohl eher den Tod gehört. Den Sensenmann, der jetzt kam, um sie zu holen. Ho. Ho. Ho. Endlich.
Doch Máire glaubte auch, das Scharren einer Schaufel zu hören. Und die Stimme war ebenfalls wieder da. Eine dumpfe verzerrte Stimme, die ihren Namen rief?
Die Auferstehung!
Oder der Tod?
Wurden die Totgeglaubten vom Sensenmann ausgegraben?
Die Hölle?
Vielleicht war sie schon längst da.
Oder im Himmel?
Egal, wo …
Oh Gott, lass mich hier rauskommen.
Das Schloss knackte widerstrebend und zerfiel schließlich in zwei Teile. Die obere Deckelhälfte wurde langsam geöffnet. Máire hörte leises Gemurmel und Ächzen. Kurz darauf wurden beide Deckelhälften ganz nach oben gehoben.
Máire fuhr zusammen, stieß einen Schrei aus, setzte sich mühsam auf und befreite sich von dem klammen rosafarbenen Seidenstoff, der sie wie eine böse Kraft widerwärtig feucht umfangen hatte. Sie kratzte sich wie eine blinde Wahnsinnige, die übersät ist von imaginären stechenden, juckenden Insekten. Nach ihrem eigenen Empfinden lag sie noch immer unter den geschlossenen Deckelhälften, einen halben Meter Erde über sich.
»Bist du okay?«
Máire spürte eine Hand auf ihrem Arm, wich zurück und hätte beinahe laut aufgeschrien. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte sie, eine lebende Tote hätte sie berührt.
Máire starrte die Tote in dem langen Gewand verständnislos an, die Tote, die aufgeregt und im Flüsterton auf sie einredete, doch sie verstand kein Wort. Die Laute hämmerten in ihren Ohren und vermengten sich zu schallendem Lärm.
Die Tote sah sie mit ihren blanken Augen an.
»Ganz ruhig, Máire. Es ist vorbei!«, sagte sie.
Máire schlotterte und klopfte sich die Kleider ab.
»Ganz
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