Schlangenfluch 2: Ravens Gift (German Edition)
frei sein willst, und mir ist klar, dass du vergessen musst, um ein normales Leben führen zu können. Aber ich brauche eine Chance.“
Ein normales Leben? Laurens’ Hand schmerzte, pochte unter dem straffen Verband. Er hatte ohne Samuel überhaupt kein Leben geführt.
Samuel schaute sich um, entdeckte die Balkontür und steuerte mit Laurens an der Hand dorthin. Vor ihnen bildete sich eine Gasse. Ein paar lächelten sie an, ein paar verzogen im Spott den Mund. Jarek fiel die Kippe ins Wodka-Glas. Später würde er ihm einiges erklären müssen.
Am Geländer lehnten knutschende Pärchen. Samuel platzierte ihn exakt dazwischen. Seine Hände fuhren in Laurens’ Haar, seine Lippen legten sich hart auf Laurens’ Mund. Wie hatte er das vermisst. Samuels Leidenschaft, Samuels unverhohlene Lust auf ihn. Laurens wartete nicht, bis Samuels Zunge den Weg durch seine Lippen fand. Er kam ihr entgegen.
Samuel seufzte, küsste ihn wilder. Seine Hände krallten sich in Laurens’ Strähnen fest. Warum war er erst jetzt gekommen? Warum hatte er ihnen das angetan?
Das Geländer bohrte sich in seinen Rücken, als sich Samuel an ihn drängte. Laurens schlang die Arme um ihn. Jeder noch so winzige Abstand zwischen ihnen war zu groß. Nur noch sie beide. Nur noch Samuels Nähe. Sein Duft, sein Geschmack und der Hauch Whisky, der von ihm ausging.
Irgendwann trennten sich ihre Lippen. Samuel schnappte ebenso nach Luft, wie er. Seine Wangen waren gerötet, sein Blick glühte und brachte Laurens’ Herz einmal mehr aus dem Takt. Sie könnten sich lieben. Hier auf dem Balkon. Ihr Kuss hatte die anderen Pärchen verscheucht. Sicher würde ihr Gerede dafür sorgen, dass sie niemand mehr störte. Laurens knöpfte seine Jeans auf, nahm Samuels Schuppenhand, aber Samuel schüttelte den Kopf. „Wenn du alles gehört hast, was ich dir zu sagen habe, willst du das vielleicht nicht mehr.“
Schon dehnte sich der Kloß im Hals wieder aus. Laurens räusperte ihn zumindest kleiner. „Ich will es, weil ich dich will. Und das weißt du auch.“
„Weiß ich das wirklich?“
Was sollte dieser traurige Blick?
„Samuel, hast du meinen Brief nicht gelesen?“ Was war an ich liebe dich und hol mich zurück so schwer zu verstehen?
Samuels Hände glitten an Laurens’ Armen hinab, fassten erst an den Handgelenken wieder zu. „Doch. Ich habe ihn gelesen. Etwa hundert Mal am Tag.“
Und warum war er nicht gekommen? Warum hatte er nicht angerufen? Laurens ballte die Faust in den Mullbinden. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen.
Samuel strich ihm eine Strähne hinters Ohr. Auf dem Weg dahin streichelten seine Finger über Laurens’ Wange.
„Versuchst du immer, zu verhungern, wenn du unglücklich bist?“
„Ich war nicht unglücklich, ich war verzweifelt.“ Kein Mensch hätte mit diesem Gefühl im Bauch essen können.
„Das gibt dir nicht das Recht, dich zu vernachlässigen. Versprich mir, dass du das nie wieder tun wirst.“
Das war der Moment. Jetzt würde Samuel ihm beibringen, dass ihre Beziehung keinen Sinn mehr hatte. Laurens verbannte die Angst davor aus seinem Bewusstsein. Was auch geschehen würde, er würde Samuels Entscheidung akzeptieren, warten, bis er gegangen war und erst danach sein Leben vom Balkon treten.
„Wie soll ich anfangen?“ Samuel legte den Kopf in den Nacken, betrachtete die Sterne, während Laurens auf jeden Herzschlag lauschte. „Ich will dich nicht verlieren.“
Was? Wie viel um Himmels hatte er getrunken?
„Sag es. Alles, was du zu sagen hast.“ Wenn er sich zusammenriss, konnte er ruhig reden und Samuel würde von seiner Angst nichts mitbekommen. „Aber vorher sollst du wissen, dass mir das mit Raven unendlich leidtut. Könnte ich es rückgängig machen, würde ich es tun.“
Warum lächelte Samuel so verständnisvoll? Hätte er ihn wütend angestarrt, hätte sich Laurens besser gefühlt.
Samuel fischte eine zerknüllte Zigarettenschachtel aus der Jeanstasche. Im Schein der Feuerzeugflamme leuchteten seine Augen golden.
„Hast du es genossen?“
Keine Lügen. Aber die Wahrheit klammerte sich an Laurens’ Lippen und wollte nicht loslassen. Er atmete tief ein, konzentrierte sich auf den schönsten aller Münder, der sanft den Rauch entließ.
Ja, er hatte es genossen. Es war trotz der Hitze und der Angst ein Wahnsinnsgefühl gewesen.
Samuel betrachtete ihn, dann nickte er.
Verdammt! Wenn er doch bloß dieses Ereignis aus seinem Leben radieren könnte.
Der Rauch streifte Samuels
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