Schlangenlinien
Opfer eines Unglücksfalls geworden sei. Fall erledigt...
Kurz danach wurde ich krank und musste mehrere Tage das Bett hüten. Ich erklärte dem Arzt, der mich besuchte, ich hätte die Grippe, aber er diagnostizierte eine Depression und verschrieb Beruhigungsmittel, die ich nicht nahm. Es kam so weit, dass mir schon das Läuten des Telefons Angst machte; beim kleinsten Geräusch fuhr ich aus meinem Sessel hoch. Sam, mein Mann, brachte mir anfangs teilnehmendes Verständnis entgegen, wollte aber nichts mehr von der Sache wissen, als ich bald darauf zum Schlafen ins Gästezimmer umzog und von Ratten in der unteren Toilette zu reden begann. Etwas später entwickelte sich bei mir eine leichte Agoraphobie, und es fiel mir zunehmend schwerer, zur Arbeit zu gehen. Ich unterrichtete an einer örtlichen Gesamtschule, und meine überlasteten Kollegen zeigten noch weniger Verständnis als Sam, als ich erklärte, ich fühlte mich von den tobenden Kindern auf dem Flur bedroht. Nach einigen Wochen ging ich überhaupt nicht mehr zur Schule.
Die Entwicklung der Dinge – von Annies Tod bis zum Verlust meiner Stellung – führte zu einer Entfremdung zwischen mir und Sam, der wochenlang vorsichtig um mich herumschlich und schließlich dazu überging, über Stunden mit meiner Mutter zu telefonieren. Er achtete zwar stets darauf, die Tür zu schließen, aber durch die papierdünnen Wände konnte ich dennoch hören, was er sagte, wenn ich mir die Mühe machte zu lauschen. Die am häufigsten wiederholten Bemerkungen lauteten: »... kein Zusammenleben mehr möglich...«»...eindeutig ein Nervenzusammenbruch...«»...fixe Ideen von Ratten...«»...blödsinniges Getue wegen einer verdammten Schwarzen...«»...Scheidung...«
Irgendwann im Februar reisten meine Eltern aus Hampshire an, wo sie lebten. Sam war drei Wochen vorher ausgezogen, schlief jetzt bei einem Freund auf dem Sofa, und unsere Ehe war praktisch hinüber. Mein Vater war so klug, sich nicht einzumischen, aber meine Mutter konnte es nicht lassen, Sams Partei zu ergreifen. Sie entstammt einer Generation von Frauen, die fest davon überzeugt ist, dass die Ehe der Schlüssel zum weiblichen Glück ist, und erklärte mir unmissverständlich, wenn ich Sam unbedingt hinausekeln wolle, dann könne ich auf Unterstützung von ihr und meinem Vater nicht rechnen. Ich hätte, sagte sie, wegen meines befremdlichen Verhaltens bereits meine Freunde verloren... Ich sähe aus wie eine Magersüchtige... Ich hätte keine Arbeit... schlimmer noch, ich hätte gar keine Aussicht, wieder Arbeit zu finden, solange ich mich Tag und Nacht im Haus einschlösse. Was ich eigentlich vorhätte? Wohin ich gehen wolle?
Ich reagierte nur mit gebremstem Zorn darauf, dass sie unbesehen alles glaubte, was Sam ihr erzählte, und schlug ihr vor, sie solle wenigstens einmal im Leben die Ehrlichkeit eines Mannes in Frage stellen. Das wirkte wie ein rotes Tuch. Über Sex – oder den Mangel daran, der wahre Grund für Sams Vorwürfe gegen mich – konnten wir nicht reden, dieses Thema war zwischen uns tabu; also hielt sie mir stattdessen einen Vortrag darüber, wie unverantwortlich ich mich gehen ließe: Ich hielte es nicht für nötig, meinem hart arbeitenden Mann eine anständige Mahlzeit zu kochen; ich vernachlässige das Haus; meine zwanghafte Besessenheit vom Tod einer Farbigen sei absurd.
»Es wäre vielleicht noch verständlich, wenn sie eine von uns gewesen wäre«, schloss sie scharf, »aber sie war ja nicht einmal Engländerin. Sie war nichts weiter als eine dieser unzähligen Ausländerinnen, die von Sozialhilfe leben und mit eingeschleppten Krankheiten unser Gesundheitswesen hoffnungslos überlasten. Ich verstehe nicht, warum wir diese Leute überhaupt hereinlassen, und dass du deine Ehe aufs Spiel setzt, nur –« Sie brach abrupt ab. »Siehst du denn nicht, wie lächerlich du dich benimmst?«
Ich sah es nicht, aber ich war nicht bereit, mich darüber mit ihr auseinander zu setzen. Wie vorauszusehen, überzeugte mein Schweigen sie davon, den Kampf gewonnen zu haben. In Wirklichkeit hatte sie nichts weiter erreicht, als mir vor Augen zu führen, wie wenig mich die Meinung anderer interessierte. Ihr völliger Mangel an Verständnis war eher befreiend als quälend, weil mir dadurch klar wurde, dass immer der die Macht hat, dem am wenigsten daran liegt, sie zu demonstrieren, und mit kalter Berechnung erklärte ich mich zur Aussöhnung mit meinem Mann bereit, und sei es auch nur, um nicht das Dach über
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