Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
von der Rückbank, wischte damit den Messstab ab und prüfte den Ölstand. Maximum. Dann langte sie durch das Fenster auf der Beifahrerseite und holte einen Wrigley’s-Spearmint-Kaugummi und die Straßenkarte heraus. Sie würde den Motor erst mal eine Weile abkühlen lassen, bevor sie versuchte, ihn wieder zu starten.
Sie setzte sich neben dem rechten Vorderrad auf den Schotter und schob sich den Kaugummi in den Mund. Als sie sich umsah, fiel ihr Blick auf ausgedehnte Felder und Kiefern in weiter Ferne.
Laut Karte befand sich ein Nationalpark in der Nähe. Im schlimmsten Fall würde sie sich auf den Weg dorthin machen und einen Ranger oder wenigstens ein Münztelefon suchen.
Kapitel 2
Heute ist der Tag
Sierra Nevada, 2010
»Stellen Sie sich auf die Waage.«
»Nein.«
»Sie wollen doch hier weg, oder?«
Das ließ die Frau auf dem Bett aufhorchen und sie blickte zu ihm hinüber. Besonders glücklich sah sie nicht aus.
»Heute ist unter Umständen Ihr Glückstag. Ihre Arme sind jetzt nur noch halb so dick wie damals, als Sie das erste Mal zu mir kamen. Schauen Sie sich das an«, sagte er und hielt ein Sommerkleid mit Spaghettiträgern hoch. »Ich habe Ihnen sogar zu diesem Anlass ein Kleid gekauft.«
»Sie werden mich nie gehen lassen«, sagte sie und ließ den Kopf wieder auf das bereits platt gedrückte Kissen fallen.
Sein Blick fiel auf den Tisch im Esszimmer und er stellte fest, dass sie den Salat und die grünen Bohnen gegessen hatte. Die Schokoladenkekse hatte sie nicht angerührt. Schon erstaunlich, wozu ein Mensch mit der richtigen Motivation imstande war. Mit ein paar Schritten durchquerte er den Raum und stellte sich neben das Bett, um sie besser sehen zu können.
Sie trug ein Nachthemd in Übergröße, das ihr bis unter die Knie reichte. Ihre Wangenknochen standen stärker hervor und die Speckfalten unter ihrem Kinn waren verschwunden.
»Doch«, sagte er. »Ich werde Sie definitiv entlassen. Sie sehen wie ein völlig neuer Mensch aus.«
Sie beachtete ihn nicht.
»Kommen Sie schon, stehen Sie auf. Ich will sehen, wie dieses Kleid zu Ihnen passt.«
Er half ihr, die Beine zur Bettkante zu bewegen. Ihre Füße glitten langsam auf den Boden. Dabei klirrte die lange Kette.
Sie hatte drei Wochen länger als die meisten anderen gebraucht, um lächerliche fünf Kilo abzunehmen. Doch ab der sechsten Woche war sie auf einmal motiviert, denn von da an schmolzen die Pfunde nur so weg.
Er nahm ihr Tagebuch vom Nachtkästchen und blätterte darin herum. »Gut. Sehr gut. Scheint, als hätten Sie sich perfekt an die Routine gehalten. Ziehen Sie sich an«, sagte er und ging in die Küche.
Er nahm die Teller von dem kleinen Holztisch, den mit den Plätzchen ließ er jedoch stehen. Sie war ganz schön schlampig, dachte er. Die meisten Frauen, die er hier als Gäste untergebracht hatte, machten den Abwasch und hielten die Bude sauber. Nicht so Diane Kramer – sie war ein regelrechter Messie. Und fett war sie auch noch. Das eine ohne das andere wäre ja nicht so schlimm gewesen. Als er wieder zum Bett zurückkehrte – es diente auch als Couch, wenn sie nicht darin schlief –, stellte er zu seiner freudigen Überraschung fest, dass ihr das Kleid einwandfrei passte.
Heute war in der Tat der Tag.
»Sie sehen toll aus«, sagte er zu ihr und strich ihr mit der Hand eine Haarsträhne aus den Augen.
Sie zuckte zusammen, als wäre ihr die Berührung äußerst unangenehm. Er verstand das nicht. Schließlich hatte er sie gut behandelt. Über mehrere Monate hinweg hatte er dafür gesorgt, dass sie nahrhafte und gesunde Mahlzeiten bekam, Kleider am Leib hatte und regelmäßig ein Bad nahm, Bücher las und ein Tagebuchführte, in dem sie ihre Fortschritte dokumentierte. Kein einziges Mal hatte er sie angeschrien oder gar geschlagen.
Er nahm sie sanft am Arm und bugsierte sie auf die Waage. Sie war 1,65 m groß. Als sich die Nadelspitze auf der Vier einpendelte, war er begeistert. »Herzlichen Glückwunsch, Diane, Sie haben es geschafft! Sie wiegen vierundfünfzig Kilo.« Wenn er ihr erst mal die Fußketten abnahm, läge ihr Gewicht wohl eher bei fünfzig. Fabelhaft.
Sie stand mit hängenden Schultern und gekrümmter Haltung vor dem Spiegel und blickte verdrossen drein. Die richtige innere Einstellung zählte mehr als alles andere. Wenn sie nicht vorhanden war, konnte er auch nichts machen.
Aber was immer sie auch sagte oder tat, nichts konnte ihm die Freude nehmen, die er beim Anblick dieser erstaunlichen
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