Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
In meinem früheren Leben, bevor ich Ehefrau und Mutter wurde, war ich Managerin in einem großen Kaufhaus. Da habe ich mich auch um Personalfragen gekümmert. Wenn jemand beim Einstellungsgespräch gelogen hat, habe ich das sofort gemerkt. Ich hab schon immer auf mein Bauchgefühl gesetzt. Es hat ja wohl seine Gründe, warum wir Menschen Instinkte haben. Ich traue Melbourne nicht. Als er mir sagte, er hätte meine Schwester seit Monaten nicht gesehen, hab ich ihm nicht geglaubt.«
Lizzy blätterte zurück zum Abschnitt Polizei. Darin hatte Andrea eine Kopie des kompletten Polizeiprotokolls abgeheftet. »Hier steht, Diane hätte ein paar Tage vor ihrem Verschwinden ihr Sparkonto geplündert. Ihren Führerschein, ihre Brieftasche und sonstige Habseligkeiten hat man nie gefunden. Das deutet darauf hin, dass sie aus eigenen Stücken gegangen ist.«
»Schon richtig«, sagte Andrea. »Aber hören Sie mir bitte weiter zu. Könnte Diane nicht irgendwohin gegangen sein, um abzunehmen? Was wäre, wenn sie diese größere Summe Bargeld Melbourne gegeben hätte? Vielleicht für irgendwelche … was weiß ich … Wunderpillen oder eine verrückte Diät, von der sie glaubte, dass sie ein für alle Mal helfen wird?«
»Haben Sie das bei Ihrem Gespräch mit Melbourne durchblicken lassen?«
»Ja.«
»Und?«
»Er hat nur gelacht. Aber dann hat er für einen Sekundenbruchteil weggeschaut. Anthony Melbourne hat eindeutig gelogen. Sämtliche Anzeichen waren da: wegschauen, stammeln und in einemausweichenden Ton reden. Ich will ihm ja nicht unterstellen, er hätte meine Schwester umgebracht, obwohl ich es ihm zutrauen würde. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass er etwas weiß.«
»Hat die Polizei schon mit Melbourne gesprochen?«
»Zweimal. Die sagen, er hätte sich äußerst kooperativ verhalten. Hat denen sogar seine Unterlagen gezeigt, aus denen hervorgeht, dass meine Schwester seine DVDs, T-Shirts und alle seine Bücher gekauft hat. Sie haben auch bestätigt, dass Diane zwei seiner Workshops besucht hat, einen in San Francisco und einen hier in Sacramento, und zwar nur ein paar Wochen vor ihrem Verschwinden.«
»Was ist mit festen Freunden?«
»Diane hatte noch nie einen.«
»Hat sie sich nie mit Männern getroffen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Freundinnen?«
Andrea deutete auf die Mappe. »Sehen Sie unter dem gelben Reiter nach, auf dem ›Freunde‹ steht. Ihre beste Freundin ist Lori Mulcher. Die beiden haben sich in Chico kennengelernt, sind zusammen aufs College gegangen. Nach ihrem Abschluss haben sie beide eine Anstellung an der Förderschule bekommen.«
»Dann finde ich also alles, was Sie über Ihre Schwester wissen, in dieser Mappe?«
»Richtig.«
»Sie sind sich also hundert Prozent sicher, dass Ihre Schwester Ihnen nichts verheimlicht hat. Hatte sie vielleicht irgendwelche ungewöhnlichen Hobbys?«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
»Drogen, Männer, Glücksspiel?«
Andrea schüttelte den Kopf. »Das hätte sie mir gesagt.«
»Das glauben Sie. Aber ganz sicher sind Sie sich nicht, das kann ich in Ihren Augen sehen.«
Andrea senkte den Blick und schien intensiv über etwas nachzudenken … oder vielleicht darüber, wie viel sie preisgeben sollte.
Lizzy kam sich wie ein Bösewicht vor, wie zum Beispiel der Grinch oder eins von diesen frechen Kindern in dieser Reklamefür Trix Frühstücksflocken, die dem Kaninchen nichts zum Essen geben – und es gefiel ihr kein bisschen. Mithilfe ihrer Therapeutin hatte sie in den letzten vierzehn Jahren schon viele Hürden übersprungen, aber Schuldgefühle jeglicher Art schwebten immer noch wie eine dicke schwarze Wolke über ihr.
»Ich hab erst neulich erfahren, dass es da einen Mann gab.« Andrea deutete mit dem Kinn auf die Mappe. »Sie finden ihn unter Verschiedenes. Der Typ heißt Michael Denton. Er hat sich manchmal an Wochenenden mit meiner Schwester getroffen.«
»Warum haben Sie mit dieser wichtigen Information hinterm Berg gehalten?«
»Das hab ich doch nicht. Ich sag es Ihnen ja jetzt und außerdem steht sowieso alles in der Mappe. Aber die Sache ist peinlich. Er ist nämlich nicht ihr Freund. Die Polizei hat mir gesagt, Michael Denton sei ein sogenannter ›Feeder‹.« Sie seufzte. »Es macht ihm Spaß, Menschen zu füttern, vor allem dicke Frauen. Ich hab da ein wenig recherchiert – es gibt diesen Fetisch, den man ›Feeding‹ nennt. Diese Typen verspüren sexuelle Erregung, wenn sie eine Frau dazu bringen,
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