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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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sitze?« Ashtons lauter werdende Stimme fuhr Gurney und Hardwick entgegen wie ein wildes Tier. »Glauben Sie, ich lasse eine Brut von Schlangen auf die kleinen Babys dieser Welt los? Diese giftigen, schleimigen, bösartigen Nattern! Wahnsinnige, niederträchtige, gefräßige Nattern mit zuckenden …«
    Es passierte so schnell, dass Gurney es fast nicht mitbekam. Plötzlich schoss hinter der Stuhllehne ein Arm hervor und machte eine schnelle, geschwungene Bewegung, das war alles. Ashtons Tirade brach mitten im Wort ab. Dann trat der Alte mit einem einzigen kraftvollen Schritt neben den Stuhl, packte Ashtons Waffe am Lauf und entriss sie ihm mit einem Ruck, der vom scharfen Knacken eines brechenden Fingerknochens begleitet wurde. Ashtons Kopf sackte auf die Brust, dann rutschte sein ganzer Körper nach unten und blieb zusammengerollt wie der eines Embryos auf dem Boden liegen. Erst durch die Blutlache, die sich um seine Kehle bildete, wurde klar, wie er getötet worden war.
    Hardwick biss die Zähne aufeinander.
    Der kleine Mann in der braunen Strickjacke wischte das Taschenmesser am Polster des Stuhls ab, auf dem Ashton gesessen hatte, klappte es geschickt zusammen und steckte es ein.
    Sein Blick fiel auf Ashton. Dann sagte er leise, als wollte er die flüchtige Seele seines Sohnes segnen: »Du Stück Scheiße.«

78
Am Abgrund zur Hölle
    Der starke Abscheu vor Gewalt und Blut – und vor allem vor dem Blut einer tödlichen Wunde –, den Gurney als junger Polizist empfunden hatte, war durch zwanzig Jahre bei der Mordkommission abgestumpft, so wie lange Arbeit mit einem Presslufthammer vielleicht die Lärmempfindlichkeit vermindert. Daher konnte er seine Gefühle ziemlich gut verbergen, wenn es sein musste, oder seinem Grauen zumindest den Anstrich von bloßem Widerwillen geben. So auch jetzt.
    Beim Anblick des Blutes, das sich in einem langsamen Oval ausbreitete und in die verschlungenen Muster des Perserteppichs einsickerte, sagte er: »Was für eine Sauerei.« Es klang, als würde er von Vogelkot auf der Windschutzscheibe reden.
    Hardwick blinzelte, als hätte er sich verhört. Sein Blick wanderte von Gurney zu dem Toten auf dem Boden, dann zu dem flammenden Inferno auf dem Bildschirm. Verständnislos wandte er sich Ashtons Vater zu. »Die Türen. Schließen Sie doch endlich die verdammten Türen auf.«
    Gurney und der Alte fixierten einander scheinbar völlig ungerührt. In schwierigen Situationen hatte sich die Fähigkeit, eine Haltung vollkommener Gelassenheit zu zeigen, für Gurney stets als Vorteil erwiesen. Doch hier schien das nicht der Fall zu sein. Der Alte strahlte ein ruhiges, geradezu brutales Selbstbewusstsein aus. Als hätte ihm die Ermordung Ashtons tiefen Frieden gebracht und endlich eine Last von ihm genommen, die ihn lange niedergedrückt hatte.
    Das war kein Mann, den man mit einem Blickduell beeindrucken konnte. Gurney beschloss, den Einsatz zu erhöhen und die Spielregeln zu ändern. Er musste schnell handeln, sonst würde niemand lebendig aus dem Gebäude entkommen.
    »Erinnert mich an Tel Aviv.« Gurney deutete auf den Monitor.
    Der Alte verzog die Lippen zu einem sinnlosen Grinsen.
    Gurney glaubte, einen Treffer gelandet zu haben. Aber was jetzt?
    Hardwick beobachtete sie mit fassungsloser Wut.
    Gurney konzentrierte sich weiter auf den Mann mit der Waffe. »Schade, dass Sie nicht ein bisschen früher gekommen sind.«
    »Was?«
    »Schade, dass Sie nicht eher gekommen sind. Vor fünf Monaten statt vor drei.«
    Der Alte wirkte tatsächlich neugierig. »Warum?«
    »Sie hätten diese verrückte Scheiße mit Jillian verhindern können.«
    »Ah.« Er nickte bedächtig, fast anerkennend.
    »Natürlich, wenn Sie rechtzeitig eingegriffen hätten, wäre alles anders. Besser wahrscheinlich.«
    Der Mann nickte weiter, aber eher vage, ohne Verständnis. Dann runzelte er die Stirn. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Plötzlich stieg in Gurney der beängstigende Verdacht auf, dass er auf der falschen Spur sein könnte. Aber er hatte keine Zeit für langes Nachdenken, und so blieb ihm nur die Flucht nach vorn. »Vielleicht hätten Sie ihn auch schon vor langer Zeit töten sollen. Vielleicht hätten Sie ihn gleich nach der Geburt erwürgen sollen, bevor ihn Tirana in die Fänge gekriegt hat. Der kleine Scheißer hatte doch von Anfang an eine Schraube locker, genau wie seine Mutter. Der war kein Geschäftsmann wie Sie.«
    Gurney suchte das Gesicht seines Gegenübers nach der leisesten Reaktion ab, aber

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