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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Schluss einen Panzer trug, der Erfahrung genannt
wurde. Reife. Erwachsensein. Ich hatte mich erfolgreich dagegen gewehrt, ein ganzes
Schülerleben lang. Tat nur so, als sei ich älter geworden. Gab den Lehrern, was
sie hören wollten, und schob ansonsten eine ruhige, einsame Kugel. Zwei, drei Freunde,
aber aus anderen Klassen. Pfarrerssöhne sind so, hieß es. Klar. Danke für euer Verständnis.
Die Extrarunde wegen Latein hätte nicht sein müssen, aber passiert ist passiert.
Jeder trägt so seinen Buckel mit sich rum.
    Ich atmete tief durch. Eine Minute bis acht.
    Eine Schülerin – klein, Rehaugen – blieb stehen, sah an mir hoch. »Suchen
Sie was?«
    Ich schüttelte den Kopf. Achselzuckend betrat sie das Klassenzimmer.
Wie alt war man gegen Ende des achten Schuljahres? 14, 15. Sitzenbleiber etwas älter.
Konfirmation, der erste Freund, Tanzstunde, Stimmbruch. Kinder, die sich wie Erwachsene
benehmen mussten. Erwachsene, die in Kinderkörpern steckten. Mein Gott, ich wusste
es nicht, das war alles viel zu lange her.
    Nach dem Läuten der Schulglocke wartete ich noch eine oder zwei Minuten
ab. Weitere Schüler kamen, ohne jede Eile übrigens, aber kein Erwachsener. Dann
gab ich mir einen Ruck und trat ein. Die Tür schloss ich hinter mir.
    Hallo? War da was? Nimmt mich jemand wahr?
    Kurze Umschau. 25 Schüler, und sie alle springen wie auf ein Kommando
in die Höhe, Hände an der Hosennaht, Mund auf, im Chor: »Gu-ten-Mor-gen-Herr-Kol-ler!«
Brav, Kinder! Setzen.
    Nein?
    Okay, dann so: 25 Schüler, die vor Schreck fast vom Stuhl fallen, die
nicht begreifen. Ist das der Schularzt? Wird jetzt gepiekst? Überraschungsbesuch
des Oberschulamts? Drogenfahndung in Zivil? Müssen wir alle in den Knast? Probealarm?
Verkehrserziehung? Was geht ab, ey?
    Nichts dergleichen geschah. Ich kam rein, legte meinen Rucksack mit
der Luftpumpe auf den freien Lehrerstuhl und stellte mich vor die Klasse. Die Reaktion
war gleich null. Ein paar schauten auf und wieder weg, Unterhaltungen wurden nur
kurz unterbrochen, es gab Gekicher und Bemerkungen, die ich nicht verstand. In der
ersten Reihe saßen zwei mit dem Rücken zu mir auf ihren Tischen. Ein Mädchen schlurzte
seine Wasserflasche leer, um sie anschließend unter großem Lärm zu zerknüllen. Lediglich
zwei oder drei, darunter die Kleine mit den Rehaugen, sahen mich erwartungsvoll
an.
    Ich wartete. Stand einfach da, breitbeinig, mit verschränkten Armen,
die Ruhe selbst. Mein Blick: stahlhart.
    Nichts passierte. Die Sekunden verrannen, doch es blieb alles beim
Alten. Die einen quasselten, die anderen lachten, die dritten hielten ihren Mund.
Da, die nächste Nuckelflasche. Hinten begannen zwei eine Balgerei.
    Ich wartete. Und verdammt noch mal, es fiel mir sauschwer. War mein
Blick etwa weniger stählern, als ich glaubte? Ich hatte es doch bloß mit einer Handvoll
Konfirmanden zu tun! Okay, sie sahen nicht aus wie Konfirmanden, jedenfalls nicht
wie die, die damals bei meinem Vater vorm Altar rumgeschleimt hatten. Die hier trugen
Nasenstecker und Lidschatten und Tattoos, ihre Hosen hingen in den Kniekehlen, unter
ihren T-Shirts wulstete das Bauchfleisch. Schwarz war anscheinend doch nicht in
Mode – leider, muss ich sagen, denn was sich die Mädchen an Farben zumuteten, war
zu keiner Tageszeit zu ertragen, am allerwenigsten frühmorgens.
    Apropos ertragen. Ich hielt es nicht mehr aus. Meine Lippen öffneten
sich wie von selbst. »Guten Morgen«, sagte ich.
    Der Effekt – siehe oben. Gerundet null. Eher minus. Sollte jemand meinen
Gruß erwidert haben, ging das im allgemeinen Klassenlärm unter. Die zwei Supercoolen
auf ihrem Tisch drehten sich nicht einmal um. Ganz ruhig bleiben, Max, ganz ruhig.
Das hier ist ein Machtkampf, und du verlierst ihn, wenn du zu früh aus der Deckung
gehst.
    Ich räusperte mich, so laut ich konnte. »Guten Morgen«, wiederholte
ich. »Mein Name ist Max Koller, und ich habe euch etwas mitzuteilen. Ich bin Psychologe.«
    Wahrscheinlich hätte ich auch behaupten können, ich sei die Bundeskanzlerin
oder ein ausgestopfter Elefant; das Resultat wäre dasselbe gewesen. Sie ignorierten
mich mit allem, was sie taten oder ließen, da fielen die drei halbwegs neugierigen
Gesichter zwischendrin überhaupt nicht auf.
    Und ich? Ich beherrschte mich, dass mir fast der Schädel platzte. Ehrlich,
die Knochen leisteten Schwerstarbeit, um mein Hirn davor zu bewahren, sich selbständig
zu machen. Das Gemisch aus Wut und Erniedrigung war hochexplosiv. Aber was tun?
Wenn

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