Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
gar nicht so schlecht«, hauchte sie in mein
Ohr.
»Das ist auch Zufall«, murmelte ich.
»Mensch, Herr Koller, Sie klingen ja wirklich wie einer, der am Abgrund
steht. Ich rufe Sie besser morgen noch einmal an. Wenn die Sonne scheint.«
»Vielleicht scheint sie ja nie wieder. Nein, nein, Herr Fischer, hören
Sie nicht auf mich, mir geht es prima. Was wollten Sie mir denn nun erzählen?«
»Vielleicht eine Frage vorweg: Wären Sie bereit, auch unserem Polizeipräsidenten
eine Thaimassage zu verpassen?«
Christine, die hin und wieder ein verdammt gutes Gehör hatte, prustete
los.
»Thaimassage?«, blaffte ich in den Hörer.
»Dieses Japanzeug, Sie wissen schon. Das so warme Ohren macht. Wir
Kommissare haben zusammengelegt, um zum Dienstjubiläum unseres Präsidenten …«
»Nein!«
»Wie meinen?«
»Ein für allemal nein, Herr Fischer. Keine Massage
von Polizistenhäuptern mehr. War’s das? Mein Akku macht schlapp.«
»Ich glaube, mir wird schon wieder schlecht«,
flüsterte mir Christine ins Ohr. »Es muss doch am Essen liegen.«
»Dieser Böker«, sagte der Kommissar, und ich konnte
ihn förmlich sehen, wie er sich räkelte und streckte, »dieser Böker war ja lange
im Schuldienst.«
»Ich weiß.«
»Sehr lange sogar. Und fast ebenso lange war er in der Lehrerausbildung
tätig.« Pause. »Wissen Sie, wen er unter anderem ausgebildet hat?«
»Sagen Sie es mir.«
»Schallmo. Thorsten Schallmo, das Opfer. Es ist zwar schon ein paar
Jährchen her, aber …«
»Böker kannte Schallmo nicht. Ich habe ihn gefragt, und der Name sagte
ihm nichts.«
»Das glauben Sie?«
»Was denn sonst?«
»Nun, ich will nicht behaupten, dass der alte Böker den Mord an Schallmo
geplant hat. Das nicht, Herr Koller. Kruzitürken, bleib mir bloß vom Hals mit dieser
Kalorienbombe! Fort damit!« Er räusperte sich. »Entschuldigen Sie, das war meine
Frau. Eine Schwarzwälder Kirschtorte, um diese Zeit! Das riecht doch nach schleichendem
Gattenmord! Ja, genau, von dir sprechen wir! Gut, wo war ich?«
»Beim alten Böker«, gähnte ich. Christine hängte sich bei mir ein,
während wir zu ihrem Wagen gingen.
»Böker, richtig. Einen geplanten Mord können wir ausschließen. Ich
stelle es mir so vor: Böker wartet eine Regennacht ohne Zeugen ab. Versteckt sich
auf dem Sportgelände, zielt auf die Leuchtschrift. Aber er ist nervös, er friert
und zittert. Der erste Schuss geht denn auch prompt daneben. Zweiter Schuss, die
Nervosität ist noch stärker. Er hat den Finger schon am Auslöser, als er plötzlich
Schallmo vor sich sieht.«
»Den er nicht kennt.«
»Den er wiedererkennt!«, rief Fischer. »Dem er schlechte Noten gegeben
hat, jawohl! Wir haben es schwarz auf weiß. Und dann – Sie können es Reflex nennen
oder eine Mischung aus Absicht und Instinkt – dann drückt er ab. Nicht obwohl er Schallmo sieht, sondern weil er ihn sieht. Was sagen Sie dazu, Herr Koller?«
»Na ja.« Wir hatten den Wagen erreicht. Auf der Kühlerhaube saß ein
großer schwarzer Vogel, der seinen Kopf unters Gefieder gesteckt hatte. Ich spürte
Christines warmen Körper neben meinem. Es war ganz still hier oben.
»Einigen wir uns auf unentschieden, Herr Koller?«
»Sie können wohl nie verlieren, Herr Fischer«, sagte ich.
E N D E
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