Schluesselmomente - Erfahrungen eines engagierten Lebens
rationalen kaum gefördert werden.
Wer in unserer Gesellschaft etwas bewegen will, muss die ausgetretenen Pfade verlassen. Wir müssen Neues wagen, wir müssen scheinbar Vertrautes auch kreuz und quer denken dürfen, um sicher zu sein, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen Fehler machen dürfen. Und wir sollten alle wieder neugierig genug werden, um lebenslang lernen zu wollen.
ZWISCHEN ANGST UND ZUVERSICHT: EINE KINDHEIT IM KRIEG
Die Welt, in die ich hineingeboren wurde, versprach wenig Sicherheit. Mein Leben begann am Vorabend der deutschen Kriegserklärung an Russland, die Erwachsenen waren voller Sorge. Heute wissen wir, dass die Angst der Mutter, Aufregung und Not in den ersten Lebenswochen tiefe Spuren im Unterbewusstsein der Menschen hinterlassen können. Wir tragen diese Ãngste in uns, mitunter begleiten sie uns ein ganzes Leben. Aber die frühe Erfahrung, dass das Leben keine Insel der Seligen ist, sondern dass das Ãberleben enorme Kräfte erfordert, aber zugleich ungeahnte Kräfte in uns freisetzen kann, hat die Frauen meiner Generation stark gemacht.
Die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir Kriegskinder erlebt haben, sind immens. Das gilt in ganz besonderem MaÃe für die Frauen, die ihre Teilhabe an Bildung, Ausbildung, Beruf und gesellschaftspolitischem Engagement oft mühsam erkämpfen mussten. Für die Frauen meiner Generation war nichts davon selbstverständlich. Wenn ich heute Vorträge halte und die vielen jungen, gut ausgebildeten Frauen sehe, dann erfüllt mich das mit groÃer Freude. Umgekehrt staunen die jungen Frauen oft über die Vielzahl meiner Aufgabenfelder und Interessen. Oft fragen sie mich ganz direkt: »Wie schaffen Sie das alles? Was hat Ihnen Kraft und Mut gegeben? Wie sind Sie zu der Frau geworden, die Sie heute sind?«
Was also ist es, das unsere Persönlichkeit prägt? Wann entdecken wir unsere ureigenen Kräfte? Wie entdecken wir unsere ureigenen Begabungen? Und was schlieÃlich gibt uns den Mut, auch bei unvermeidlichen Fehlern und Rückschlägen nicht aufzugeben, sondern uns selbst und den einmal gesteckten Zielen treu zu bleiben?
Es war ein weiter Weg für das kleine Mädchen aus Wiedenbrück bis zu meiner Verantwortung für die Bertelsmann AG und die Bertelsmann Stiftung. Ich hatte das groÃe Glück, an der Seite meines Mannes Reinhard Mohn auf zahlreichen Reisen, bei faszinierenden Begegnungen und im Dialog mit auÃerordentlichen Persönlichkeiten aus der ganzen Welt unschätzbare Erfahrungen zu sammeln. Diese Erfahrungen haben mich aber auch mit mir selbst bekannt gemacht. Heute kann ich meine Stärken und Schwächen einschätzen. Vor allem aber habe ich gelernt, all mein Tun unablässig zu hinterfragen: War das richtig? Was kannst du noch verbessern, was musst du verändern?
In vielen schwierigen Situationen, in der beständigen Anspannung neuer Herausforderungen habe ich â wie andere Frauen auch â gelernt, auf meine innere Stimme zu hören. Das war nicht immer so. Umso mehr freut es mich, dass mit dem wachsenden Erfolg von Frauen in Führungspositionen auch die Bedeutung der Intuition bei unserer täglichen Entscheidungsfindung mehr Beachtung erfährt.
In der Geschichte meines Lebens und in der Entwicklung meiner beruflichen Aufgaben hat es immer wieder Schlüsselmomente gegeben, in denen ich wusste: Das ist es! Das will ich machen! Das könnte ein Erfolg sein. Und oft genug war der Weg dorthin nur mit harter Arbeit, enormer Zähigkeit, strenger Disziplin und Ausdauer zu bewältigen. Zahllose nationale und internationale Projekte
und die verschiedensten Arbeitsfelder der Bertelsmann Stiftung sind so entstanden. Ein mitunter zaghafter Beginn ist an den Widerständen gewachsen. All das hat mir eine Fülle von Erfahrungen beschert, die ich mit diesem Buch weitergeben möchte.
Die widerstrebenden Gefühle von Angst und Zuversicht haben meine ganze Kindheit geprägt. Durch die Nähe meines Geburtsorts Wiedenbrück zum Ruhrgebiet und die Nachbarschaft zu Bielefeld erlebten wir eine starke Bombardierung. Wie oft riss meine Mutter mich aus meinem Kinderbett und trug mich in den Luftschutzkeller. Die jahrelangen Erfahrungen von Angst, Hunger, Kälte und Not gehören zu meinen unauslöschlichen Erinnerungen. Doch in den schlimmsten Stunden war da auch immer die rettende Hand meiner Mutter, deren ungeheuren Lebensmut
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