0563 - Totensturm der Geisterfrau
Bei ihren Kolleginnen war sie nicht sehr beliebt. Frauen sind oft eifersüchtig, besonders dann, wenn die Männer eine von ihnen stark bevorzugen.
Auch an diesem Abend hatte sie wieder Dienst. Es mußten sehr viele Zimmer betreut werden, für Dina ein reiner Routinejob. Immer das gleiche, Handtücher wechseln, Betten aufdecken, vielleicht etwas aufräumen – das nächste Zimmer.
Sie sah sofort, wer in einem Zimmer wohnte. Ob Mann oder Frau.
Ob das Pärchen verheiratet war oder nicht. Das stellte sie mit geschulten Blicken fest.
Die Hälfte der Zimmer hatte sie durch, als ihr ein Mann entgegenkam. Er sah sie, blieb stehen, grinste und nickte anerkennend. »Du siehst ja super aus, Kleine. Sind alle Zimmermädchen hier so scharf wie du?«
»No, Monsieur, nur ich.«
Er strich über ihre Wange. Sie ließ es sich gefallen. »Vielleicht sehen wir uns noch.«
»Würde mich freuen, Monsieur.« Dina schaffte sogar einen angedeuteten Knicks.
»Dann aber intensiver. Ich bin für meine Großzügigkeit bekannt. Ciao, Süße!« Er ging. Am Lift drehte er sich noch einmal um und winkte ihr zu.
Dina lächelte zurück, bevor sie die nächste Zimmertür aufschloß.
In diesem Raum, das wußte sie, wohnte eine ältere Frau, die zusammen mit den anderen Mitgliedern einer Reisegruppe eingetroffen war. Dina hatte die Frau einmal kurz gesehen. Trotz der Kürze war sie ihr sympathisch gewesen. Sie hatte so ein nettes Lächeln.
Ihr Zimmer war sehr aufgeräumt, wie das Mädchen mit einem Blick erkannte. Da lag nichts herum, jedes Teil hatte seinen Platz gefunden. Die Kleidung war in den Schränken verstaut worden, der Koffer befand sich geschlossen auf der breiten Ablage.
Dina betrat das Bad. Auch dort fand sie kein Durcheinander. Der Boden zeigte keine feuchten Stellen, die Kacheln sahen aus wie frisch gewischt.
Dina stellte der Frau ein neues Duschgel hin, zwei frische Handtücher fanden ebenfalls ihre Plätze, dann schaute sie noch einmal im Zimmer nach.
Das Bett mußte noch aufgedeckt werden. Zwischen ihm und dem Fenster hatte noch der schmale Schreibtisch seinen Platz gefunden, der mehr einem Sekretär glich.
Und dort lag das Buch.
Dina besaß die gewisse Neugierde aller Zimmermädchen, die allerdings nicht so weit ging, als daß sie aufgefallen wäre. Damit der Gast nicht am Abend in ein dunkles Zimmer treten mußte, waren die Mädchen angehalten worden, das Licht einzuschalten.
Dina knipste die Lampe auf dem Schreibtisch an. Ihr Schein breitete sich aus, sickerte auch nach unten, und das dort liegende Buch wurde ebenfalls angeleuchtet.
Dina blieb stehen. Es mußte ein altes Buch sein. Der dunkelrot schimmernde Leinendeckel sah jedenfalls so aus. Einen Titel konnte das dunkelhäutige Mädchen nicht lesen. Möglicherweise fand sie ihn auf dem Buchrücken.
Sie merkte sich genau, wie es gelegen hatte, nahm es vorsichtig in die Hände und drehte es herum.
Tatsächlich stand der Titel auf dem Buchrücken. Murmelnd las sie ihn vor. »Die Macht der Templer im Bösen und im Guten.« Dina hob die Schultern. Damit konnte sie nun wirklich nichts anfangen.
Templer. Wer oder was konnte das sein? Es hörte sich jedenfalls an wie Tempel. Und dieser Begriff besaß für Dina etwas Geheimnisvolles. Wenn sie daran dachte, dann stellte sie sich alte Gebäude in fernen Ländern vor, aber auch geheimnisvolle Kirchen, die einmal in der Vergangenheit benutzt worden waren.
So wie sie das Buch aufgenommen hatte, legte sie es auch wieder zurück. Etwas schräg, nur nicht auffallen, daß sie es in der Hand gehalten hatte.
Aber ihre Neugierde war angestachelt worden. Templer. Uralt und vielleicht sogar unheimlich. Sie wollte sehen, ob das Buch bebildert war und schlug es auf.
Nein, Bilder fand sie keine. Nur einen eng gedruckten Text in einer Sprache, von der sie nur ein paar Brocken – gerade das Nötigste – verstand.
Die Zeichnungen fielen ihr auf. Dina hatte damit gerechnet, alte Bauwerke zu sehen, wurde aber enttäuscht. Die Zeichnungen zeigten nur Personen. Oft nur angedeutet, nicht mehr als irgendwelche Umrisse, aber mit Namen versehen.
Mit einem Schrei ließ sie das Buch fallen. Es war plötzlich heiß wie Feuer geworden.
Das Buch fiel auf den Schreibtisch. Sie starrte auf den Deckel, anschließend auf ihre Handfläche, weil sie das Gefühl hatte, sich verbrannt zu haben.
Ja, sie war gerötet…
Durch das Buch.
Nervös huschte die Zungenspitze über die Oberlippe. Das Buch ließ sie nicht aus den Augen, als sie die rechte Hand
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