In der Falle - Leino, M: In der Falle
HÄRSKI
Härski steckte bis zum Hals in der Scheiße, das wusste er seit ziemlich genau zwei Stunden, als er den Hof der Mietskaserne in Kannelmäki betreten hatte, auf seinen Wagen zugegangen war und aus den Augenwinkeln gesehen hatte, was auf der Seite des roten Lieferwagens geschrieben stand.
Die beiden Männer hatte er erst gar nicht beachtet. Sie hatten den Lieferwagen auf einem der Gästeplätze geparkt, in der Reihe gleich neben seinem Kadett. Sie rauchten und schienen ins Gespräch vertieft. Den Schriftzug sah Härski erst, als er den Autoschlüssel nicht ins Schloss bekam: TURUNEN OY. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, während er versuchte, sich auf das Türschloss zu konzentrieren. Jemand hatte ein geknicktes Streichholz hineingesteckt.
»Probleme?«, fragte eine Stimme hinter ihm. Härski bemerkte einen russischen Akzent. »Eine Scheißkarre hast du da.«
Als Härski sich umdrehte, sah er in ein unrasiertes Gesicht, das ihn aus drei, vier Schritten Entfernung anstarrte. Der Unrasierte kam näher und streckte eine Hand aus, die andere steckte in der Hosentasche. »Gib mir den Schlüssel, Ilja fährt. Falls du überlegst, was ich in der Tasche habe: Es ist keine Pfeife.« Er nickte zu dem Lieferwagen hin.
»Worum geht’s eigentlich?«, fragte Härski mit erstickter Stimme.
»Das wirst du sehen. Den Schlüssel!«, sagte der Unrasierte und schnippte mit den Fingern.
Härski ließ den Schlüssel in eine gewaltige Pranke fallen.
»Auf geht’s! Ilja lädt dich auf eine kleine Tour zu ein paar Bankautomaten ein, und du bist so nett und räumst dein Konto leer.«
Die Angst ließ Härskis Knie weich werden, während er brav in Richtung des Lieferwagens schritt, dessen Seitentür Ilja freundlicherweise schon geöffnet hatte. Während er in den fast leeren Laderaum kletterte, warf Härski einen Blick zurück. Der Unrasierte saß schon in seinem Kadett und zog die Beifahrertür zu, dann hievte er sich über den Schalthebel und die Mittelkonsole auf den Fahrersitz. Die Fenster seiner Wohnung konnte Härski nicht mehr sehen. Vielleicht besser so, dachte er. Wahrscheinlich stand der kleine Petteri am Fenster, um seinem Vater nachzuwinken, das tat er meistens, wenn Härski morgens zur Arbeit fuhr. Härski hoffte, dass der Junge es heute nicht tat, dass er nicht zwischen den Mumin-Vorhängen auf den Kunststoffhocker geklettert war, den er ihm eigens für den Zweck gekauft hatte. Die Abfahrt heute sah der Kleine besser nicht. Härski erinnerte sich noch gut, wie Petteri sich gefreut hatte, als er das erste Mal auf den Hocker stieg, die kleinen Hände aufs Fensterbrett legte und sich die Stupsnase an der Fensterscheibe platt drückte. »Man kann bis zur Straße sehen!«, hatte der Junge gejubelt, und Härski hatte mit Kirsi hinter ihm gestanden, bereit, ihn zu packen, wenn er vor lauter Begeisterung das Gleichgewicht verlor. Aber er hatte das Gleichgewicht nicht verloren, der Junge hatte die kräftigen Beine des Vaters geerbt, eines Tages würde er ein genauso guter Eishockeyspieler werden wie Härski, wenn nicht ein noch besserer. Vielleicht hatte Petteri mehr Verstand als sein Vater und legte sich mehr für eine Profikarriere ins Zeug. Härski selbst hatte an genau dem Punkt aufgehört, an dem er hätte loslegen müssen. Räihä, sein damaliger Trainer, hatte noch lange hinter ihm hertelefoniert, erst jeden Tag, dann fast jede Woche und schließlich, nachdem er wegen eines kleinen Einbruchs verurteilt worden war, gar nicht mehr. Später war er Räihä noch ein paarmal zufällig über den Weg gelaufen, aber der ergraute Trainer hatte so getan, als würde er ihn nicht kennen. Das durfte Petteri nicht passieren. Der Junge sollte nicht dieselben Fehler machen wie sein Vater, auf keinen Fall. Aus seinem Jungen würde kein Berufsganove werden, dafür würde Härski sorgen. Das war er Petteri schuldig und Kirsi und sich selbst auch. Allen war er das schuldig.
Nur darum hatte Härski bei dieser Operation überhaupt mitgemacht, es sollte der erste Schritt in Richtung eines neuen Anfangs sein. In Richtung einer besseren und sichereren Zukunft.
Nur darum saß er jetzt, wo er saß, und sah sein eigenes Blut auf eine grüne Plane tropfen. Tropf, tropf, tropf.
Er schloss die Augen und stellte sich vor, mit Kirsi und Petteri zu Hause zu sein. Er saß auf dem Sofa und Kirsi neben ihm, er hatte den Arm um sie gelegt, und Petteri saß auf seinem Oberschenkel. Er schaute abwechselnd seine Frau und ihren gemeinsamen
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