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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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die offen stehenden Augen,
begutachtete ihre Ohren, ihre Finger, sogar die Beine. In die Nähe der Pobacken
traute er sich nicht. Unwillkürlich folgte ich seinen Blicken. Sie war eine
hübsche Frau gewesen, diese Annette Nierzwa. Blut klebte an ihrer Stirn, war
aus einem kleinen Riss über der linken Augenbraue auf die Dielen getropft. Ihre
Bluse stand einen Knopf weiter auf als diejenigen ihrer Kolleginnen unten im
Lichthof.
    Der Polizist stand auf und wischte sich den Schweiß von der
Stirn. Ratlos sah er auf die Leiche hinab. Im Hintergrund des Raumes befragte
sein Partner einen bleichen jungen Mann: Bernd Nagel, Geschäftsführer des
Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg. Mittelgroß und schlank, mit
zarten, fast weiblichen Gesichtszügen, das glatte schwarze Haar durch einen
Seitenscheitel veredelt, um die braunen Augen ein Hauch von Melancholie. Eines
dieser Glückskinder, die gut aussehen, ohne viel dafür zu tun, denen der Erfolg
zufliegt wie anderen ansteckende Krankheiten und die dennoch von der
Schlechtigkeit der Welt überzeugt sind. Keine Ahnung, was Marc Covet an solchen
Typen findet.
    Dem Polizisten an seiner Seite jedenfalls war schnuppe, wie
gutaussehend oder erfolgreich der Mann war; er runzelte die Stirn, verzog die
Lippen und vertraute alles, was Nagel ihm mit leiser Stimme diktierte, einem
dicken Notizblock an. Beide standen hinter einem Schreibtisch, der
Geschäftsführer stützte sich mit einer Hand auf die Lehne eines Drehstuhls. Der
Tisch selbst war tipptopp aufgeräumt, da gab es nur ein Telefon, einen
Flachbild-Monitor mit Tastatur, Schreibutensilien und einen Taschenrechner.
Auch in den Regalen ringsum herrschte Ordnung, das musste man Nagel lassen.
Bücher, Zeitschriften, Ordner wie in jedem Büro, dazu CDs und ein Notebook. An
der Wand Konzertplakate, Dienst- und Besetzungspläne, eine Magnettafel mit
aktuellen Aushängen des Opernbetriebs, dazwischen eine Geige ohne Decke.
Außerdem eine kleine Sitzecke mit drei Sesseln. Über einem der Sessel hing
Nagels Mantel.
    Bevor ich mir mein weiteres Vorgehen zurechtlegen konnte,
bekam ich einen Rippenstoß. Er ging auf das Konto eines feisten Kerls mit einem
Knebelbart, wie sie seit der Weimarer Republik außer Mode waren. Die Rempelei
geschah unabsichtlich, denn sein Blick galt nur der halbnackten Annette
Nierzwa.
    »Widerwärtig«, keuchte er, während er einen Stuhl zur Seite
schob. »Ekelhaft ist das.« Mit einem Finger lockerte er seinen Hemdkragen, dann
begann er zu rufen: »Hallo! Hallo, Sie da!« Er hatte eine gepresste
Fistelstimme, ein Witz für einen Mann seiner Statur, wie überhaupt sein ganzes
Gerufe albern war, schließlich stand der Schnüffelpolizist bloß einen Meter vor
ihm.
    Einen Augenblick später hatte sich die Entfernung zwischen
den beiden um die Hälfte verringert. »Stellen Sie den Stuhl wieder an seinen
Platz«, herrschte der Beamte den Feisten an. »Was fällt Ihnen ein?«
    »Ich bin«, sagte der und pumpte seinen mächtigen Brustkorb
voll Luft, »ich bin hier der Generalmusikdirektor. Mit anderen Worten: der
Hausherr, solange der Intendant nicht anwesend ist. Ich habe ein Recht darauf
zu erfahren, was hier passiert ist.«
    Der Geschäftsführer und der zweite Polizist unterbrachen ihr
Gespräch und schauten zu uns herüber, Bernd Nagel mit der ausdruckslosen Miene
eines Dulders. Dem Schnüffelpolizisten stand frischer Schweiß auf der Stirn. Wo
blieb nur die Verstärkung? Er war an einem ereignislosen Samstagabend Streife
gefahren, ohne zu ahnen, was hier auf ihn einprasseln würde: eine Leiche mit
blankem Po, singende Grafen, ein musikalischer Generaldirektor. Und ein
vorwitziger Privatdetektiv. Aber von dem wusste er noch nichts.
    »Mir ist egal, wer Sie sind«, sagte der Beamte erregt. »Ich
mache bloß meine Arbeit und habe dafür zu sorgen, dass niemand den Raum
betritt. Was hier passiert ist, sehen Sie selbst. Dürfte ich Sie jetzt bitten?«
    »Ihr Name?«, entgegnete der Dicke. Seine Fistelstimme hatte
einen harten Klang bekommen.
    Der Polizist schluckte. »Lassen Sie mich bitte meine Arbeit
machen«, sagte er.
    »Mein Name ist Barth-Hufelang, ich bin Städtischer
Generalmusikdirektor, wie bereits erwähnt. Wären Sie nun so freundlich, mir den
Ihren zu nennen?«
    Der Typ mit dem Knebelbart war wirklich Gold wert. Ich
zwinkerte Marc Covet zu, schob auch den zweiten Stuhl beiseite und setzte mich
Zentimeter um Zentimeter von dem Grüppchen ab.
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