Seilschaft (German Edition)
Erstbesteigung
Über den Bergen hing undurchdringlicher Nebel, massiv wie Beton.
Die Schneeflocken buhlten um ihre Aufmerksamkeit. Sanft tänzelnd zuerst, hübsch anzusehen, Dekoration für eine Weihnachtskarte. Dieser Reiz verlor sich nach einer Minute, als ihnen der Schnee hart um die Ohren wirbelte. Nico verfluchte sich selbst, weil er das Auftürmen der Wolken nicht früh genug beachtet hatte. Jason stand hinter ihm, der Blick verborgen durch die gefärbten Brillengläser, aber Nico konnte sich die verengten Augen vorstellen, den Ausdruck einer Katze, die plötzlich in einen Eimer Eiswasser getaucht wird.
Zumindest der Wind war nicht heftiger geworden. Sicher, es blies eine kalte Brise, genug, um sie daran zu erinnern, dass auch diese mächtige Naturgewalt sie nicht vergessen hatte. Vorerst blieb es aber bei der Warnung. Noch schnitt der Wind nicht durch ihre Kleider, aber wahrscheinlich würde er das bald versuchen.
«Wir müssen campen, bis das vorbei ist», rief Nico. Sofort spürte er die Besorgnis, die dieses kleine Statement hervorrief.
Er seufzte und schaute umher über die winzige Fläche, die er überblicken konnte. Der Nebel verhielt sich dazu besonders boshaft, als würde er ihn persönlich verfolgen, und schob sich immer wieder zwischen ihn und sein anvisiertes Ziel.
«Du willst mich verarschen, stimmt’s?» Die Angst und Aufgewühltheit in Jasons Stimme mischte sich in das leise Heulen des Windes. «Du willst, dass wir hier oben bleiben?»
«Hier sind überall Gletscherspalten», antwortete Nico in der Hoffnung, seine Stimme könnte ein bisschen mehr Gelassenheit vortäuschen, als er wirklich fühlte. «Ich würde nicht vorschlagen, in diesem Nebel herumzukriechen. Abgesehen davon: Es ist spät.»
Viel zu spät, leider. Sie wanderten schon seit dem Morgen, mit nur wenigen Stopps, bevor sie den Gipfel erreicht hatten. Es war eine schöne Route mit herrlichem Ausblick, aber Junge, das hatte länger gedauert, als Nico gedacht hatte. Sie konnten nur langsam gehen, denn Jasons Höhenangst blockierte seine Erinnerung, was genau er mit seinen Händen und Füßen anstellen sollte. Nico wusste, dass Jason es konnte, aber er brauchte viel Zeit und seinen gesamten Vorrat an Beleidigungen, um ihn so weit zu bringen, es auch zu tun.
Silberhorn. Sie hätten zuerst das Silberhorn machen sollen, schimpfte Nico bei sich. Nun steckten sie am Ostgrat fest, und Jason würde mit größter Sicherheit sauer auf ihn werden.
Der Gipfel selbst war überwältigend, einzigartig, und die wilde Begeisterung in Jasons Augen, als er irgendwas schrie und Nico hart auf die Schulter klopfte, war den langen Aufstieg wert gewesen. Wie auch immer, der Rückweg war ein Problem.
Sie mussten eine Schneehöhle bauen. Nico hatte schon eine passende Stelle gefunden und grub vorsichtig, während sein Rucksack langsam vom Schnee bedeckt wurde. Jason beobachtete ihn aus der Nähe, mit einem Gesichtsausdruck, als müsste er sich gegen den Angriff eines Rudels von Schneewölfen verteidigen. Nicos Herz sank noch ein Stück tiefer. Jason mochte schon geklettert haben, aber er war verdammt sicher, der Brite hatte es bei längeren Touren noch nie mit launischem Wetter aufnehmen müssen. Nach diesem Blick zu urteilen, würde sein Grollen vermutlich mehrere Wochen anhalten.
Nico drehte sich zu Jason um, der eine verschwommene Frosty-der-Schneemann-Erscheinung abgab.
«Kommst du?», rief er. Wieder ein kurzes Zaudern, als ob Jason an der Statik der Schneehöhle zweifelte, aber die schien ganz zufrieden mit der Architektur und blieb, wie Nico sie geschaffen hatte. Zuletzt bewegte Jason sich vorwärts und schwang sich in die kleine Höhle. Der Wind verlor seine Opfer.
«So hatte ich mir unseren gemeinsamen Abend nicht vorgestellt.» Zumindest klang da etwas Belustigung mit, obwohl Nico die Anspannung hören konnte. Die Dunkelheit kroch schnell heran. Ebenso die Kälte.
Nico schaute zu, wie Jason mit um die Beine geschlungenen Armen seinen Körper zusammenpresste. «Du schlotterst», kommentierte er.
«Tu ich nicht», konterte Jason. «Und ich zittere auch nicht, bevor du auf diese Idee kommst.» Er veränderte seine Position, nahm endlich die Brille ab und warf sie in eine Ecke.
Er stöhnte und lehnte sich zurück. «Ich bin ganz schön angeschlagen, Kamerad. War das die Idee unseres verehrten Regisseurs, um mich in der Drehpause fit zu halten, oder was?»
Nico grinste. Er und Jason arbeiteten zum ersten Mal zusammen, sie spielten die
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