Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)
er überhaupt nicht verstand.
Er hatte mit einem Mann gesprochen, der irgendwie alt war, aber zugleich jung.
Seine Worte waren warm, ja, geradezu vertraut. Er hatte ihn gefragt, ob es nicht
langsam wieder Zeit wäre? Es gäbe so viele Junge, die nicht mehr warten
wollten. Sie wollten etwas tun. Er sagte nur, dass die Alten keine Lust mehr
hätten. So viele Enttäuschungen, so viel Undankbarkeit, so viel menschlicher
Egoismus.
Sebastian
wusste nicht, warum und wie, aber er sagte in diesem Traum, dass die Jungen
beschlossen hätten, wieder aufzuwachen, und dass jede Einwände zu spät kämen.
Sie wollten ihre eigenen Erfahrungen machen. Sie wollten feststellen, ob die
Welt wirklich so war, wie sie die Bücher und die Alten beschrieben. Der Alte
sagte: »Schaut nach, aber beschwert euch nicht. Man spürt, auch ihr, es wird
etwas Neues kommen – für die Erde etwas ganz Neues. Ihr tragt das Wissen von
Tausenden. Wenn die Jungen beschließen, alt, und die Alten, jung zu werden,
dann hat das Schlafen ein Ende.«
Der
Mann war gegangen. Doch im Hintergrund war noch jemand gewesen. Schemenhaft und
verschwommen, nicht ganz so groß wie der Mann, eher wie Sebastian, doch um ihn
herum tanzten und hüpften Schmetterlinge, viele Schmetterlinge.
Sebastian
schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nie geträumt, geschweige denn sich
überhaupt daran erinnert, und verstanden hatte er es erst recht nicht. Es war
aber irgendwie… wie eingebrannt. Papa sollte nicht mehr diese spannenden
Geschichten von den alten Rittern (und Prinzessinnen) zum Einschlafen vorlesen.
Sebastian brauchte keine Geschichten mehr zum Einschlafen, er war ja groß. Aber
wenn Papa seiner kleinen Schwester Julia die Geschichten von Ruhm und Ehre
vorlas, dann ließ er seine Türe doch noch einen Spalt auf, um mitzuhören. Er sagte
sich, es könne ja nicht schaden.
Sebastian
schwang sich aus seinem Bett und trottete zum Bad. Zeit, um Samstagspläne zu
schmieden.
Dem
Lärm nach zu urteilen, war Julia auch schon wach. Was um alles in der Welt
konnten Mädchen mit sieben Jahren schon alles so früh im Bad veranstalten? Sie
hatte wie immer ihr hellblaues Lieblingsnachthemd an, das ihr bis zu den Füßen
ging. Allerdings hatte sie viele Lieblingshemden, und irgendwie schaffte es
seine Schwester, abends ein Hemd zu wählen, welches genau die Farbe des Himmels
vom nächsten Morgen hatte. Das war ihm jetzt schon öfter aufgefallen.
An
der Stelle, wo eigentlich das Gesicht sein sollte, sah er nur eine Zahnbürste
und eine Stupsnase, die durch die langen blonden Haare hindurchschauten, die
wiederum wild durch die Luft wirbelten. Ihre Hände waren mal hier, mal da. Kurz
vor der Tür stand Mama im roten Bademantel. Das Rot passte irgendwie gar nicht
zu dem pechschwarzen Haar, das glänzend wie Seide an ihr herunterhing – oder
doch? Sie war mit Abstand die schönste Frau, die er kannte. Da konnte ihm
niemand was sagen, und er war doch schon recht stolz auf Mama. Für sie würde er
alles tun! Naja, bis auf Gartenarbeit, Hausarbeit, Wäschewaschen und noch so
ein paar Dinge, – vielleicht kochen – aber ansonsten: alles.
»Ah,
guten Morgen, mein Schatz«, und schwupsdiwups hatte er einen jener
Guten-Morgen-Küsse bekommen, die nur Mütter vergeben können. »Heute müsst ihr euch
ein bisschen hübsch machen! Tante Edeltraud und Onkel Herbert kommen zu
Besuch.« Sebastian und Julia rissen die Augen auf – nicht Tante Trude! Die
drückte einen immer so, und außerdem kratzte ihr Bart. Just in dem Moment
schwang sich Papa um die Ecke und knipste mit seinem neuen Foto-Handy. Mama und
Papa fingen an, zu lachen. »Eure Gesichter hättet ihr mal sehen müssen. Hier
schaut mal!« Lars Feuerstiel hielt ihnen das Display hin. »Das lade ich gleich
mal auf den Desktop.« Julia spuckte die Zahnpasta aus und quäkte nur »Gemein!«.
Da sagte Papa immer noch lachend: »Wisst ihr, um das Handy mal richtig zu
testen, müssten wir irgendwo hin. Ich hab da rein zufällig Gutscheine für die
Nachmittagsvorstellung im Kino.« Breites Lächeln überzog die Gesichter von
Julia und Sebastian. Nach der Morgenwäsche schlurfte Sebastian zurück zu seinem
Zimmer. Mama hatte wie immer schon sein Bett ausgelegt und kam ihm auf halben
Weg entgegen. »Sag mal, seit wann schläfst du eigentlich mit Schmetterlingen?«
He?
Sebastian ging zu seinem Bett, auf dem Mona gerade mit einem lebenden
Schmetterling spielte, bis sie vom Bett plumpste, als sie nach ihm sprang.
Weitere Kostenlose Bücher