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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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tief und fest, daß er die Lampe auf der Kommode anschalten und seine Kleider einsammeln konnte, ohne sie zu stören. Das leise Geräusch, das sie hören ließ, war ein zufriedenes Murmeln, meinte er. Dann vergrub sie ihren Kopf unter den Kissen. Daß sie gut schlief nach einer Nacht im Flugzeug und anschließendem Sex, der mit einer überschwenglichen Klimax geendet hatte, war nicht überraschend, erfüllte ihn aber trotzdem mit Stolz. Er sah es als Beweis dafür, daß er seine Sache gut gemacht hatte, daß er ein aufmerksamer Gastgeber war. Auch er war eingenickt, aber nur kurz. Beim Aufwachen merkte er, daß sie einen Arm um ihn geschlungen und sich eng an ihn geschmiegt hatte. Ihre Glut, ihre unverhohlene Konzentration, als warte sie auf einen unglaublich hohen Ton aus der Ferne, der die Explosion von Freude auslösen würde! So war in seiner Erinnerung auch das erste Mal mit ihr gewesen. Mit geschlossenen Augen, den Körper ihm entgegengehoben, hatte sie sich der Lust auf ihre eigene Art so offen und vollständig hingegeben wie Carrie. Gewisse Gesten, die er von Carrie gelernt hatte, wurden jetzt ohne Kommentar und ohne Ärger abgewehrt. Wie unwichtig sie waren, ob willkommen oder unwillkommen! Seine Liebesakte mit Alice hielten sich eigentlich an die Regeln, die er und Mary in ihrer mehr als dreißigjährigen, schicklichen und von großer Zuneigung geprägten Ehe befolgt hatten, aber das Ergebnis war vollkommen anders. Mary war fast nie zum Orgasmus gekommen. Was sie daran hinderte, war ihre tief im Inneren verborgene Angst, daß er Macht über sie gewinnen würde, wenn siees soweit kommen ließe; davon war er überzeugt. Lieber gab sie sich mit der unreifen Lust zufrieden, die ihr das Petting auf dem Wohnzimmersofa verschaffte, ein unsinnig langes Vorspiel und nach dem Akt eine klebrig kalte Enttäuschung. Wahrscheinlich meinte sie, er habe die Folgen – seine Schuldgefühle, die Demütigung – verdient. Vergleiche anzustellen war schäbig, das wußte er, aber wie sollte er sie vermeiden? Die erschreckende Wildheit, die er mit Carrie erfahren hatte, würde er mit Alice nie erleben, aber Carrie hatte ihn auch an die äußersten Grenzen seiner Ausdauer getrieben. Lange hätte er wohl nicht mehr mit ihr mithalten können.
    Er stieg in die Küche hinunter, fütterte die Katzen, brühte sich eine Tasse Tee auf und trank ihn, während er das Feuilleton der Times zu Ende las, die er im Erdgeschoß hatte liegenlassen. Dann wusch er sich im Gästebad, um Alice nicht zu stören, und zog sich zum Dinner um. Er sah auf die Uhr. Kein Grund zur Eile. Alice konnte noch eine halbe Stunde schlafen, ohne daß die Zeit bis zum Aufbruch knapp wurde. Wieder in der Küche, goß er sich einen Bourbon ein und schnitt sich ein Stück von dem Manchego ab, den er für das Mittagessen gekauft hatte. So gestärkt, ging er hinaus auf die Veranda an der Gartenseite. Ein feingezeichneter, schmaler Mond hing über dem Teich. Es war windstill, man hörte nur das ferne Rauschen der Brandung. Die Luft war deutlich kälter geworden; das Außenthermometer zeigte gut sechs Grad minus. Es dauerte nicht lange, bis er die Kälte spürte, und er zog sich in die Küche zurück.
    Der Sender in Connecticut spielte Beethovens Neunte. Die Musik, eindringlich, fragend und warnend, nahm ihn gefangen. Eine unerträgliche Pause lang blieb das Schicksal aller Menschen in der Schwebe, ungesichert. Dann plötzlich der Jubel, der Aufruf zur Freude. Er stimmtezu: ja, Freude und Dankbarkeit. Wie herbeigerufen von dem triumphalen Crescendo, trat Alice ein, schlank und hoheitsvoll in einem bodenlangen, schulterfreien Futteralkleid aus schwarzem Samt. Schmidts Bewunderung mischte sich mit einer leichten Ratlosigkeit. War es ein Fehler, dieses Kleid zu tragen, das sie bestimmt schon vor vielen Jahren gekauft hatte, zu einer Zeit, da ihre Haut noch die einer jungen Frau gewesen war? Würde er den Mut aufbringen, es ihr zu sagen? Ob sie überhaupt ein anderes Kleid in ihrem Gepäck hatte, das sie statt dessen anziehen konnte? Er ging ihr entgegen und öffnete die Arme. Große Erleichterung. Alices Schultern waren glatt und weich. Er küßte sie und holte tief Luft, um seine Lunge mit ihrem Duft zu füllen. Welch unverhofftes und unverdientes Glück, daß sie so schön war, seine Lippen ihr so willkommen, daß sie ihn anlächelte!
    Schmidtie, schau mich an, sagte sie, du sollst nicht einfach hier herumstehen und schnuppern. Findest du mein Kleid in Ordnung? Versuch nicht

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