Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Aufschwung oder Fall eines Politikers oder einer Partei zu betreiben. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Artikel von Christoph Schwennicke im Spiegel , erschienen im Februar 2008, über den damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Schwennicke beginnt dieses Porträt mit einer Beschreibung des Auftritts von Beck beim Schlachtfest in Ilbesheim, einem Dorf in Rheinland-Pfalz: »Als er fertig ist mit seiner kurzen Rede, bekommt Kurt Beck vom Wirt eine Schüssel hingehalten, aus der er sich bedienen soll. Wie alle Männer vor ihm seiht Beck mit einer Kelle durch die Brühe und sucht: ›Wo sind die Schnüffel?‹ Wer Beck noch nie in heller Freude gesehen hat, muss ihn sich vor einer Schüssel voller Schweineschnauzen vorstellen. ›Schnüffel!‹, ruft er, fündig geworden, während er eine wabbelnde, zerschnittene Schweinenase auf seinen Teller hievt, das sei das Beste an der Wutz, wenn sie gut gemacht ist. Nicht zu weich und nicht zu hart dürfen ›de Schnüffel‹ sein, eben genau richtig. Dabei macht er mit gestrecktem Zeige- und Mittelfinger eine Handbewegung in Richtung seiner Nasenlöcher, so wie man einen Stecker in die Steckdose steckt. (…) Beck schwelgt in Schnüffeln.«
Man muss kein Verächter solcher regionalen Spezialitäten sein, um sich beim Lesen dieser Beschreibung zu ekeln. Wie musste diese Geschichte wohl bei den Spiegel -Lesern ankommen? Sicher, Schwennicke hat nur beschrieben, was er gesehen hatte. Aber ist diese Geschichte wirklich kennzeichnend für Kurt Beck? Ebenso gut hätte der Reporter die Details weglassen und Beck als volksnahen Landesvater beschreiben können. So jedoch wurde Schwennickes Stück für Beck zu einer »Killergeschichte«. Der Ekel über Becks Lust an den Schweineschnauzen verstärkte den Eindruck seiner politischen »Wurstigkeit«, den das vorzeitige Ausplaudern des Öffnungskurses gegenüber der Linkspartei in Hessen kurz vor der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar 2008 erzeugt hatte.
»Haben Journalisten Macht?« - auf diese Frage antwortete Schwennicke im Jahr 2005 in einem Interview mit der Zeitung Das Parlament : »Es widerstrebt meinem beruflichen Selbstverständnis, Artikel mit der Überschrift ›Was Frau Merkel jetzt tun muss‹, zu schreiben, Handlungsanleitungen zu geben. Ich will nicht beeinflussen - ich will beschreiben.« Aber auch mit Beschreibungen lassen sich Stimmungen beeinflussen, kann Meinung gemacht werden. Wusste Schwennicke, was er mit seiner Beck-Geschichte bewirken würde? Schließlich arbeitet er beim Spiegel , dem Wochenmagazin, das nach wie vor eines der Leitmedien des deutschen Journalismus ist.
Ebenso berechtigt ist allerdings die Frage, warum Politiker wie der Parteivorsitzende Kurt Beck Journalisten wie Schwennicke überhaupt mit zu ihren Terminen nehmen - obwohl sie wissen, dass dabei kritische Artikel, ja sogar Verrisse herauskommen können. Man braucht sich eben gegenseitig: Die Medienvertreter benötigen Informationen
aus erster Hand, die Politiker die Öffentlichkeit, die sie über die Medienberichterstattung erreichen. Doch es kommt auch zu Verletzungen; schnell entsteht das Gefühl, unfair behandelt worden zu sein - auf beiden Seiten. Andererseits: Wer liest nicht gern die Hintergrundstücke über Bundesparteitage und Koalitionsrunden oder die Porträts über einzelne Politiker? Mir zumindest gefallen die dichten Beschreibungen und genauen Beobachtungen von Personen oder Situationen in Christoph Schwennickes gut recherchierten Hintergrundstücken. Zu einer solchen Sternstunde gehört für mich auch das sehr persönliche Interview mit dem damaligen Arbeitsminister Franz Müntefering, das Christoph Schwennicke gemeinsam mit seinem Kollegen Nico Fried im April 2007 für das Süddeutsche Zeitung Magazin führte. Häufig lese ich Zeitungen auf der Suche nach solchen Geschichten, die gründlich erarbeitet und nicht unter Zeitdruck in die Tasten gehauen wurden. Müntefering sehr persönlich mit starken Bildern - das gelingt nur sehr selten.
Nach dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin im Jahr 1999 vollzog sich unter den Parlamentskorrespondenten ein Generationswechsel. Damals warf Dirk Kurbjuweit im Spiegel die Frage nach den möglichen Folgen von Umzug und Verjüngung für das Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern auf. Christoph Schwennicke, zu dieser Zeit Berliner Korrespondent der Süddeutschen Zeitung , kam als ein Vertreter der nachrückenden 30- bis 40-jährigen Journalisten zu Wort. Kurbjuweit notierte:
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