Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
sich häufig die Gespräche mit Roland Nelles.
Sein journalistisches Credo lautet: Politik reduziert sich auf das Liegen in Schützengräben. Lugt der Kopf einen Millimeter aus dem Graben heraus, ist das eine Meldung wert - mit der Hoffnung auf rhetorisches Sperrfeuer aus den anderen Reihen -, was natürlich gerne wieder in das Blatt aufgenommen wird. Man müsste einmal eine Statistik erstellen, wie viele virtuelle Debatten in der SPD geführt wurden, die durch geschriebene Gerüchte und geschickt Kombiniertes ausgelöst wurden. Roland Nelles wäre zweifelsohne der König dieser Statistik. Erlaubt sein muss an dieser Stelle die Frage: Was erfährt der geneigte Leser von Roland Nelles eigentlich über die SPD, abgesehen von den - wer würde das leugnen - wirklich vorhandenen Streitigkeiten innerhalb der Sozialdemokratie?
Wer über die SPD berichtet, sollte professionellen Abstand halten und sich nicht mit den Objekten seiner eigenen Berichterstattung identifizieren. Das ist wahr. Den Vorwurf
von zu großer Nähe zur SPD kann man Roland Nelles wirklich nicht machen.
Doch wer seinen Leserinnen und Lesern wirklich etwas über den Verlauf von Debatten, über die innere Statik der SPD und die Motivation ihrer Akteure näherbringen will, der sollte sich für die SPD interessieren. Wer verstehen will, warum mancher Streit in der SPD schärfer ausgetragen wird als in anderen Parteien, muss sich die Mühe machen, in die viel beschworene »Seele der Partei« einzutauchen. Ein Besuch bei einer Ortsvereinssitzung, bei dem es dem Journalisten nur darum geht, einen vermeintlich authentischen O-Ton gegen den Parteivorsitzenden zitieren zu können oder im nächsten Heft wachsenden Zweifel am Kanzlerkandidaten zu dokumentieren, reicht dafür nicht aus. Die SPD ist eine Volkspartei und damit ein hoch komplexes Gebilde. Von Ottmar Schreiner bis Peer Steinbrück hat sie ein breites Spektrum zu bieten. Wer verstehen will, was diese Partei zusammen hält, und wie Entscheidungen getroffen werden, der muss die Kultur, die Ästhetik und die Empathie dieser Partei nachzeichnen können. Wer zu einer belastbaren Einschätzung gelangen möchte, welche Positionen innerhalb der SPD an Raum gewinnen, welche Kandidaten auf dem Parteitag eine Chance haben, im ersten oder zweiten Wahlgang gewählt zu werden, und wer als Journalist mit seinen Prognosen über aussichtslose Kandidaturen nicht Schiffbruch erleiden möchte, der muss die Basis der SPD und ihre Organisationen ernst nehmen, zuhören und sich auch dann einmal blicken lassen, wenn der nächste Parteitag noch mehr als ein Jahr voraus liegt.
Es wäre vermessen und auch falsch, die beschriebene Entwicklung im Journalismus allein Roland Nelles in die Schuhe zu schieben. Der Journalismus insgesamt hat sich
verändert. Aus Kostengründen, aus Gründen der Aktualität und dem Zwang eines jeden Journalisten, Nachrichten im Online-Format zu produzieren, geraten Hintergründe, Einschätzungen und analytische Beiträge jenseits der 1000 Zeichen mehr und mehr in Vergessenheit. Gleichzeitig haben sich im Internetzeitalter auch die Lesegewohnheiten der Konsumenten drastisch verändert bzw. verkürzt. Da (personelle) Ränkespiele um Macht und Einfluss sich besonders gut darstellen lassen, sind sie für die Medien attraktiv. Die beiden Systeme Journalismus und Politik interagieren dabei miteinander, die Akteure ordnen sich der neuen Zeit unter. Insofern lässt sich auch kein Schuldiger dieser Entwicklung finden, sondern nur ein medial-gesellschaftlicher Prozess beschreiben. Und dieser Prozess vollzieht sich vor dem Hintergrund des Generationswechsels in den Medien.
Mit anderen Worten: Der »Journellismus« steht im deutschen Journalismus beispielhaft für den Mentalitätswechsel: weg vom analytischen hin zum apokalyptischen Journalismus.
DIE AUTOREN
Niels Annen (geb. 1973 in Hamburg) ist Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied im SPD-Parteivorstand und war von 2001 bis 2004 Bundesvorsitzender der Jusos.
Björn Böhning (geb. 1978 in Geldern) leitet beim Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, in der Senatskanzlei das Grundsatz- und Planungsreferat, ist Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Sprecher der SPD-Linken. Von 2004 bis 2007 war der diplomierte Politikwissenschaftler Vorsitzender der Jusos.
DR. GREGOR GYSI
Die »Unqueenige« - Sandra Maischberger
Christiansen, Illner, Will, ach ja, und Maischberger - so klingt das oft, wenn man nach den deutschen
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