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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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und einschließlich
     des kleinen Absatzes meiner ausgetretenen Schuhe ungefähr einen Meter zweiundachtzig groß. Jörgen misst, wenn er sich ganz
     lang macht, einen Meter fünfundsechzig. Er blickte mit Tränen in den Augen zu mir auf. Dann drehte er sich abrupt um, schnappte
     nach einem auf dem Schreibtisch liegenden Umschlag, drückte ihn mir in die Hand und schob mich zur Tür hinaus. »Bitte lass
     mich allein, ich muss weinen, ich will dir die Sache nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin schon ist. Alles Gute.«
    Ich stand verwirrt vor seiner Bürotür, öffnete den Umschlag und las das Kündigungsschreiben.
    Ich konnte es nicht fassen. Dies musste eine Verwechslung sein. Ich war normal zur Arbeit gekommen, hatte Kaffee gekocht,
     die Post vorbereitet und die Pflanzen gegossen. Alle Gewächse waren gesund, keines hatte gelbe Blätter oder war eingegangen.
     Wieso sollte Jörgen mir also kündigen?
    Christine, Jörgens rechte Hand und linke Hirnhälfte, holte mich in ihr Büro und schloss die Tür.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. Es klang ehrlich.
    Ich schwieg.
    »Du hast noch Überstunden und Urlaub«, fuhr sie fort. »Wenn du willst, kannst du direkt verschwinden.«
    Ich starrte sie an. Sofort verschwinden? Aber ich musste doch noch die Nachkalkulation der letzten Anzeigenkampagne machen,
     die Mediaplanung für den Lippenstift mit Vitamin- C-Zusatz   … Ich konnte nicht einfach verschwinden. Wer würde dann meine Arbeit machen? Und was sollte ich tun, wenn ich morgens um zehn
     Uhr wieder auf der Straße stand? Wo sollte ich hin? Mitten am Tag in der Wohnung herumsitzen? Shoppen? Mich zu den Pennern
     unter die Brücke legen?
    »Nein«, stammelte ich. »Warum sollte ich?«
    Sie legte den Kopf ein wenig schief, wie sie es immer tat, wenn ihr etwas unangenehm war. »Jörgen will es so.«
    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass man mir nicht die Wahl ließ, sofort zu gehen, sondern den Befehl dazu gab.
     Das machte mich völlig fassungslos.
    »Er schmeißt mich direkt und ohne Umschweife hinaus?«, fragte ich.
    »Du weißt, wie er unter schlechter Stimmung leidet«, sagte Christine, die von allen außer mir Chris genannt wurde. Englisch
     ausgesprochen, versteht sich.
    »Aber warum   …«, brachte ich mühsam hervor.
    »Ach, Däumling«, sagte sie mit ihrem verständnisvollsten Gesichtsausdruck und milder Nachsicht in der Stimme. »Die Zeiten
     sind schlecht. Die Kunden bilden sich ein, dass sie auf die klassische Werbung verzichten können, weil sie ja schöne, bunte
     Internetseiten haben. Es gibt wenig Geld in der Branche und um diese Budgets kämpfen alle Agenturen, die großen etwas erfolgreicher
     als die kleinen. Wir stehen finanziell nicht so gut da und am Kreativpersonal können wir ja schlecht sparen, nicht wahr? Wer
     würde dann die Kampagnen machen?«
    Damals nickte ich, weil ich ihre Argumentation für die einzig sinnvolle hielt. Kreativagenturen brauchen Kreative.Ich war nur eine langweilige Werbekauffrau. Die Kreativen, das waren die wirklichen Helden. Sie entwarfen Logos, Slogans,
     Fernsehspots, ganze Kampagnen. Anzeigenserien, Preisausschreiben, Plakate und Goodies. Sie kümmerten sich zwar nicht um Geld,
     um Termine nur ungern, und waren projektorganisatorisch auf dem Niveau von Neandertalern, aber sie waren eben kreativ.
    Wir, das heißt meine Kollegin Susanne und ich, waren die Ordnungshüter. Wir kalkulierten, korrespondierten, organisierten,
     stimmten Termine ab und pochten auf deren Einhaltung.
    Wir sammelten Entwürfe aus den Papierkörben und legten sie in ein Fach, aus dem sie später unter großem Hallo wieder hervorgezogen
     und dann doch verwendet wurden. Wir schrieben Rechnungen und ordneten Spesenquittungen, wir buchten Flüge, Leihwagen und Hotelzimmer.
     Wir führten die Projektdaten zusammen und stellten in der Nachkalkulation fest, ob Budgets eingehalten oder überschritten
     worden waren. Wir hielten einen Haufen übermütiger Hippies in Schach und organisierten den Kindergarten so, dass er – zumindest
     entfernt – einem gewinnorientierten Unternehmen glich. Kurz: Wir waren natürlich abkömmlich. Zumindest eine von uns, nämlich
     ich.
    Ich packte meine persönlichen Sachen, verabschiedete mich von Susanne, die ehrlich traurig war, und von ein paar Kolleginnen
     und Kollegen, die peinlich berührt eine starke Arbeitsbelastung vortäuschten, um mich schnell wieder loszuwerden. Ich ging
     wie betäubt zur Straßenbahnhaltestelle und sehnte mich

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